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Von Lichtwiese nach Dunkelstadt

Von Lichtwiese nach Dunkelstadt

Titel: Von Lichtwiese nach Dunkelstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivar Leon Menger , John Beckmann
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blitzschnell Elenors Kopf nach hinten. In einer fließenden Bewegung drückte er eine Hand auf ihre Nase, griff mit der anderen nach der Tasse und kippte Tee in Elenors nach Luft schnappenden Mund. Als ich endlich wieder auf den Beinen war und ihn von Elenor wegzerrte, war bereits alles vorbei. Elenor hustete und spuckte Tee, während ich Agerian anschrie, was ihm denn einfiele und ob er verrückt geworden sei.
    „Es musste getan werden“, sagte er nur.
    Elenor rang noch immer nach Luft, weshalb ich meine Schimpftiraden kurz unterbrach und ihr auf den Rücken klopfte.
    „Ist alles in Ordnung?“
    Sie nickte. Ihr Kopf war puterrot.
    „Du hast sie echt nicht mehr alle!“, fuhr ich Agerian an, der jetzt mit verschränkten Armen an der Spüle lehnte.
    „Manchmal dauert es einen Moment, bis der Brennnessel-Tee wirkt“, sagte Strom-Tom, als wäre das gerade meine einzige Sorge.
    Plötzlich jedoch wurde Elenor ganz ruhig. Ihre Gesichtsfarbe wechselte zu kalkweiß und wieder zurück zu puterrot. Dann rutschte sie vom Stuhl. Sie brach zusammen, als hätte jemand den Stecker gezogen. Eine Sekunde nach ihr war ich auf dem Küchenboden, hielt ihren Kopf in meinen Händen und rief panisch: „Sie atmet nicht mehr, sie atmet nicht mehr!“, während ich versuchte, ihren Puls zu ertasten. „Du hast sie umgebracht!“, schrie ich. „Du hast sie umgebracht!“ Das ging noch einige Zeit so weiter, bis schließlich eine grünlich-weiße Substanz aus Elenors Mund, Nase und Ohren tropfte. Ich verstummte und fragte: „Was … ist … das?“
    „Ist es so grünlich-weiß?“, fragte Strom-Tom.
    „Ja, genau.“
    „Das ist Kohlraba-Plasma. Das haben die Kopien von Dr. Apo-Schlips anstelle von Blut.“
    „Ihr Blut ist nicht rot?“
    „Das habe ich gerade gesagt“, bestätigte Strom-Tom.
    Mir wurden zwei entscheidende Dinge zur selben Zeit bewusst, was mich für einige Sekunden lähmte. „Dann ist das nicht die echte Elenor …“, war die erste Erkenntnis.
    „Na endlich ist der Funke übergesprungen“, seufzte Strom-Tom.
    „Ich hatte die Hoffnung schon beinahe aufgegeben“, sagte Strom-Klaus.
    „Aber wenn das Blut der Kopien grünlich-weiß ist“, formulierte ich meinen zweiten Gedanken, „dann hätten wir uns den ganzen Aufwand doch sparen können! Wir hätten Elenor einfach in den Finger piksen können und schwupps, hätten wir gewusst, ob sie eine Kopie ist!“
    „Tja …“, sagte Strom-Tom. „Theoretisch …“
    „… wäre das eine Möglichkeit gewesen“, brachte Strom-Klaus den Satz zu Ende.
    „Du hättest sowieso nicht zugelassen, dass jemand deiner geliebten Elenor zu nahe kommt“, sagte Agerian.
    „Ist doch auch völlig egal jetzt“, beschloss Strom-Tom. „Du hast deinen Beweis, und wir können endlich weiter.“
    „Aber wo ist dann die echte Elenor?“, fragte ich.
    „Wahrscheinlich beim Chef. Aber darüber können wir uns unterwegs noch genug Gedanken machen.“
    „Wohin gehen wir denn?“
    „Wohin wohl?! Nach Lichtwiese natürlich!“

Ein langer Weg

    „Du kennst den Weg?“, vergewisserte sich Agerian, als wir die drei Stufen vor Omis Haustür hinunterstiegen.
    „Ich kenne den Weg“, entgegnete Strom-Tom.
    Ich begnügte mich mit einem Nicken.
    Vorsichtig tappten wir Richtung Osten. Zu unserer Linken ragte der Stacheldrahtzaun in den Nachthimmel. Die zerstörten Häuserhälften davor waren, abgesehen von dem zaghaften Leuchten, dunkel. Auch die Häuser auf der anderen Straßenseite schienen allesamt verlassen zu sein. Ab und an glaubte ich, in einem der Fenster Licht zu sehen, doch wenn wir näher kamen, war es nicht mehr da. So als habe jemand schnell die Vorhänge geschlossen und die Kerzen ausgepustet, als er uns erblickte.
    Andere Lebenszeichen gab es nicht. Die Straßen waren menschenleer. Trotzdem meinte ich nach einiger Zeit, hinter uns Schritte zu hören. Als wir stehenblieben und uns versteckten, weil mehrere der riesigen Schornsteine gleichzeitig Feuer spien und scharfe Schatten auf den Asphalt warfen, verklangen jedoch auch die Schritte. Wahrscheinlich war es nur das Echo unserer eigenen gewesen.
    Das Dorf endete abrupt. Plötzlich standen wir inmitten der Spargelfelder. Die verkümmerten, gräulich leuchtenden Stängel reichten bis zum Horizont.
    „Ich glaube, die Ernte fällt dieses Jahr aus“, sagte Agerian.
    Ich wollte gerade etwas entgegnen, als ich wieder die Schritte hörte. Dieses Mal ganz deutlich. Schnell drehte ich mich um und erblickte eine kleine, dunkle Gestalt,

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