Von Liebe und Gift
seit dem passiert?
Sehnsüchtig blickte sie auf die Holzklappen, die in der Zimmerwand eingearbeitet waren und eine Art Durchreiche zu dem Zimmer nebenan bildeten. Und als hätte sie es geahnt, gingen diese Klappen plötzlich auf und Neal sah hindurch.
„Na, Liebes? Kannst du auch nicht schlafen?“, fragte er. Francis richtete sich auf. Sie rutschte ans Ende des Bettes, bis sie ihrem Bruder genau gegenübersaß.
„Weißt du noch, wie oft ich früher durch diese Durchreiche geklettert bin, nur damit Mum und Dad nicht mitbekommen, dass ich zu dir gehe?“
Neal lächelte, dabei sah er verlegen zur Seite. Er wirkte ausgeglichen. Nach dem Gespräch mit seinem Vater hatte er sich wirklich besser gefühlt. Er war froh, dass die erste Hürde überwunden war.
„Ich komme zu dir“, sagte er. Wenig später trat er in ihr Zimmer und kroch zu ihr unter die Decke. Francis kicherte.
„Es ist wie früher.“ Sie lehnte sich an seinen Oberkörper. Auch sie war froh, dass das Gespräch mit ihren Eltern relativ glimpflich abgelaufen war. Selbst Stephanie hatte gefasst reagiert, als Peter ihr von der Schwangerschaft erzählte und zudem mitteilte, dass Francis gar keinen festen Freund mehr hatte und auch nicht über den Kindsvater reden wollte.
„Du bist es ja gewohnt, ein Kind alleine groß zu ziehen“, hatte Stephanie ein wenig provokativ zu ihrer Tochter gesagt. „Aber sicher wird dich Thilo wieder unterstützen.“
Mehr hatte sie zum großen Erstaunen aller nicht gesagt. Stattdessen saß die Familie noch lange im Kaminzimmer, um sich alte Dias anzusehen.
„Wann habe ich dir eigentlich das letzte Mal gesagt, dass ich dich liebe?“, flüsterte Neal seiner Schwester ins Ohr. Wieder musste sie kichern.
„Das ist schon eine Weile her“, antwortete sie, „aber ich merke, dass du mich liebst. Das musst du mir nicht immer sagen.“
Sie küssten sich. „Doch, ich werde es dir nun wieder öfter sagen. Und wie glücklich ich mit dir bin und wie sehr ich mich auf unser Baby freue.“
Da drehte Francis aufmerksam ihren Kopf. „Du wirst doch dadurch deinen Prinzen nicht vernachlässigen?“
„Gero muss das akzeptieren“, gab Neal von sich. Es klang nach einer unverrückbaren Feststellung. „Unser Kind ist jetzt das Wichtigste.“
Am übernächsten Morgen hatte Francis ihre Sachen schon früh gepackt. Es fehlten nur noch Nicholas’ Spielsachen. Der Junge, der im Gästezimmer geschlafen hatte, machte allerdings ein mürrisches Gesicht, als ihn Francis zum Zusammenpacken aufforderte.
„Neal will gleich los“, sagte sie. „Du weißt, dass er es nicht mag, wenn man trödelt.“
Sie stellte ihre Tasche in den Flur, dann sah sie in Neals Zimmer. Doch von ihrem Bruder war nichts zu sehen. Nur aus dem Bad, welches sich an sein Zimmer anschloss, hörte sie angestrengtes Atmen.
„Neal?“ Sie kam näher und hörte ein Schniefen, und es war klar, dass es von Neal kam, denn kurz darauf ertönte auch ein unterdrücktes Husten.
„Bist du erkältet?“ Fragend sah sie in das Bad, wo sie ihren Bruder vor dem Spiegel vorfand. Er hatte gerötete Augen und zog unentwegt die Nase hoch. Als er seine Schwester erblickte, wirkte er zuerst erschrocken, doch dann setzte er ein Lächeln auf.
„Liebes“, sagte er zärtlich. „Ich glaube, ich kann die ganzen Pollen nicht ab.“
Er fuhr sich mit der rechten Hand über die Nase, dann hielt er beide Hände unter den Wasserhahn, um sich die Hände zu waschen.
„Eine Allergie?“ Francis runzelte die Stirn. „Das hattest du ja lange nicht mehr.“
Neal zuckte mit den Schultern, während er sich die Hände abtrocknete.
„Die Natur wird eben immer aggressiver.“ Er sah auf, betrachtete sich erneut im Spiegel. Als er sich abwenden wollte, hielt er plötzlich inne. Seine rechte Hand griff zum Waschbeckenrand, an dem er sich verkrampft festhielt.
„Was hast du?“, fragte Francis sofort. Prüfend sah sie ihren Bruder an. „Du taumelst ja!“
Neal atmete einige Male ein und aus, dann fing er sich. Auf wackeligen Beinen ging er weiter. „Irgendwie ist mir schwindelig“, sagte er, dabei verzog er das Gesicht. Nach wenigen Schritten machte er wieder Halt, um sich an dem Türrahmen festzuhalten.
„Mir dreht sich alles.“ Er ging vorsichtig in die Knie, und bettete das Gesicht in seine Hände.
„Oh, verdammte Scheiße!“, fluchte er. Er blickte wieder auf, doch zu Francis’ Erstaunen sah er nicht unzufrieden aus. Im Gegenteil. Er grinste und schien
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