Von meinem Blut - Coben, H: Von meinem Blut - Long Lost
weißt du, woran ich glaube?«
Ich schüttelte den Kopf.
» Ich glaube, dass es eine besondere Verbindung zwischen einer Mutter und ihrem Kind gibt. Ich weiß nicht, wie ich es sonst ausdrücken soll. Ich bin ihre Mutter. Die Mutter-Kind-Bindung ist eine der engsten Verbindungen, die die Menschheit kennt, stimmt’s? Die Liebe einer Mutter für ihr Kind übertrifft alles andere. Also müsste ich doch zumindest irgendetwas fühlen– in die eine oder andere Richtung. Wenn ich vor dem Grabstein stehe, müsste ich spüren, ob meine Tochter am Leben ist oder nicht. Verstehst du, was ich meine?«
Aus dem Bauch heraus hätte ich fast mit einer altklugen, aufmunternden Floskel wie » Ach, mach dir darüber keine Sorgen« oder » Lass dir das nicht zu sehr zu Herzen gehen« reagiert, aber ich konnte mich gerade noch bremsen, bevor ich eine so geistlose Bemerkung herausbrachte. Ich habe einen Sohn– zumindest bin ich sein leiblicher Vater. Er ist inzwischen erwachsen und auf seinem zweiten Auslandseinsatz– dieses Mal in Afghanistan. Ich mache mir unablässig Sorgen um ihn– und obwohl ich es für unmöglich halte, ertappe ich mich doch immer wieder bei dem Gedanken, dass ich es mitkriegen würde, wenn ihm etwas Schlimmes zustieße. Ich glaube, ich würde es spüren– ein kalter Hauch würde mir ins Herz fahren oder sonst irgendein Unsinn.
Ich sagte: » Ich weiß, was du meinst.«
Wir fuhren eine Rolltreppe hinunter, die überhaupt kein Ende zu nehmen schien. Ich sah nach hinten. Der Sonnenbrillenmann war nicht zu sehen.
» Und was jetzt?«, fragte Terese.
» Wir fahren zurück ins Hotel. Du guckst dir die Sachen an, die wir bei Karen gefunden haben. Denk über diesen Opal-Code nach, vielleicht fällt dir dazu ja was ein. Wenn Esperanza was rauskriegt, mailt sie es dir. Mit Rick muss vor nicht allzu langer Zeit irgendetwas passiert sein– etwas, das ihn dazu bewegt hat, sein Leben zu ändern und sich bei dir zu melden. Das Beste, was wir jetzt tun können, ist herauszufinden, woran er die letzten Monate gearbeitet hat, dann erfahren wir vielleicht, wer ihn aus welchen Gründen ermordet haben könnte. Also musst du seine Sachen durchgehen und hoffen, dass dir dabei irgendwas ins Auge fällt.«
» Was hältst du von meinem Gespräch mit Karen?«, fragte Terese.
» Ihr seid sehr eng befreundet gewesen, oder?«
» Ja, sehr.«
» Dann will ich es mal höflich ausdrücken: Ich glaube nicht, dass Karen dir absolut offen geantwortet hat. Und du?«
» Bis heute hätte ich gesagt, ich würde mein Leben in ihre Hände legen«, sagte Terese. » Aber du hast recht. Irgendetwas verschweigt sie mir.«
» Hast du eine Ahnung, in welcher Beziehung das sein könnte?«
» Nein.«
» Dann lass uns zurückgehen und es auf einem anderen Weg probieren. Erzähl mir alles über den Unfall, woran du dich erinnerst.«
» Glaubst du, dass ich dir etwas verschweige?«
» Nein, natürlich nicht. Aber du hast gerade ein paar neue Dinge über den Unfall erfahren, daher frage ich mich, ob dir irgendetwas daran seltsam vorkommt.«
» Nein, nichts.« Sie blickte aus dem Fenster, wo aber nur die dunkle Tunnelwand vorbeirauschte, an der wir entlangfuhren. » Ich habe die letzten zehn Jahre versucht, diesen Abend zu vergessen.«
» Verstehe.«
» Nein, das verstehst du nicht. Die letzten zehn Jahre habe ich mir diesen Abend Tag für Tag durch den Kopf gehen lassen.«
Ich sagte nichts.
» Ich habe mir diesen Abend aus allen erdenklichen Blickwinkeln angesehen. Ich habe über jede Was-wäre-wenn-Möglichkeit nachgegrübelt– was wäre gewesen, wenn ich langsamer gefahren wäre, was, wenn ich eine andere Strecke gefahren wäre, wenn ich Miriam zu Hause gelassen hätte, wenn ich nicht so verdammt ehrgeizig gewesen wäre, und so weiter. Da gibt es nichts mehr, woran ich mich noch erinnern könnte.«
Wir stiegen aus der U-Bahn und gingen nach vorn zum Ausgang.
Als wir in die Lobby kamen, vibrierte mein Handy. Win hatte folgenden Text geschickt:
Bring Terese ins Penthouse.
Dann komm in Zimmer 118.
Allein.
Zwei Sekunden später ergänzte Win:
Bitte erspare uns eine witzige,
unweigerlich homophobe Bemerkung
bezüglich des Wortes allein.
Win war der Einzige, den ich kannte, der beim Texten geschwätziger war als im persönlichen Gespräch. Ich brachte Terese ins Penthouse. Wir hatten einen Laptop mit Internetzugang. Ich deutete darauf: » Vielleicht kannst du schon mal versuchen, etwas über › Save the Angels‹ rauszubekommen.«
» Und
Weitere Kostenlose Bücher