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Von Natur aus kreativ

Von Natur aus kreativ

Titel: Von Natur aus kreativ Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Poeppel , Beatrice Wagner
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gemein verbockt,
    höchst unzulänglich einsam hockt.
    Dem Menschen kann es nicht gelingen,
    ihn auf das leere Blatt zu bringen.
    Der Mensch erkennt, daß es nichts nützt,
    wenn er den Geist an sich besitzt,
    weil Geist uns ja erst Freude macht,
    sobald er zu Papier gebracht.
    Für einen Wissenschaftler wird das Problem heutzutage noch dadurch verschärft, dass er seine Gedanken meist in einer fremden Sprache formulieren muss, denn nicht für alle ist das Englische die Muttersprache. Wenn ich einen Gedanken auf Englisch formulieren muss, dann ist es nicht mehr genau derselbe Gedanke, wie wenn ich es in meiner Muttersprache, nämlich Deutsch, versuche. Die jeweilige Sprache gibt einen Rahmen für den Inhalt vor. Und manches lässt sich in der anderen Sprache gar nicht zum Ausdruck bringen. Eine noch größere Herausforderung entsteht dann, wenn man mit Forscherneines anderen Landes zusammenarbeitet, die wiederum eine andere Sprache wie etwa Chinesisch sprechen, und man dann versucht, gemeinsam auf Englisch das zu Papier zu bringen, was man für richtig hält. Beide haben dann oft das Gefühl, dass das Aufgeschriebene eigentlich nicht mehr genau das ist, was es in den eigenen Gedanken war, und man wird dem gemeinsamen Text entfremdet. Was man versucht, ist eine gemeinsame Teilmenge dessen zu finden, was es zu vermitteln gilt, auch wenn am Rand viel Ungesagtes und auch Unscharfes bleibt.
    Da man sich also nicht mehr so in einem Text wiederfindet wie im Mentalesischen, wird man zu dem naheliegenden Gedanken geführt, einmal eine andere schriftliche Äußerungsform daraufhin zu prüfen, ob diese nicht auch geeignet sein könnte, einen wissenschaftlichen Gedanken zu vermitteln, nämlich Gedichte. Wenn es gelingt, zu zeigen, dass verschiedene Arten der schriftlichen Dokumentation das Gemeinte, das man vermitteln möchte, auf unterschiedliche Weise inhaltlich übereinstimmend widerspiegeln, dann könnte dies für die Richtigkeit des Gedankens sprechen, also dafür, dass die wissenschaftliche Prosa (und diese in verschiedenen Sprachen) und Gedichte (und diese auch in verschiedenen Sprachen) dasselbe sagen. Vielleicht sind Gedichte sogar notwendig, um die Validität eines wissenschaftlichen Gedankens zu sichern!
    Eine mögliche Verbindung zwischen den beiden Welten herzustellen, das sei im Folgenden versucht, wobei die grundlegende These ist, dass diese Welten gar nicht so verschieden sind. Die Gedichte, die beispielhaft zu diesem Zweck ausgewählt wurden, sind eher von leichter Art, und ich bin mir nicht sicher, ob es sich bei ihnen um „gute Gedichte“ in den Augen der philologischen Zunft handelt; doch dies ist natürlich bei wissenschaftlichen Aufsätzen auch so: Nicht alles, was publiziert wird, kann mit dem Prädikat „gut“ versehen werden. Um den Weg des möglichen Gemeinsamen zu gehen, will ich mir zu Beginn selbst „ein Bein stellen“ und die einfache und vielleicht auch merkwürdig erscheinende Frage stellen: Warum gibt es überhaupt Gedichte?
    Die Antwort ist schnell gegeben: Ich habe keine Ahnung. Warum-Fragen sind immer gefährlich. Es sind die typischen Kinderfragen, die man nicht beantworten kann. In der Warum-Frage drückt sich das ursprüngliche Kausalitätsbedürfnis des Menschen aus. Wir können offenbar nicht anders, als immer eine Begründung für etwas zu suchen, und wenn eine Begründung nicht auf der Hand liegt, eine zu erfinden oder gar zu erzwingen. Diese Erklärungsnot hat Erich Kästner in seinem Gedicht „Wieso? Warum?“ eingefangen:
    W arum sind tausend Kilo eine Tonne?
    Warum ist dreimal Drei nicht Sieben?
    Warum dreht sich die Erde um die Sonne?
    Warum heißt Erna Erna statt Yvonne?
    Und warum hat das Luder nicht geschrieben?
    Warum ist Professoren alles klar?
    Warum ist schwarzer Schlips zum Frack verboten?
    Warum erfährt man nie, wie alles war?
    Warum bleibt Gott grundsätzlich unsichtbar?
    Und warum reißen alte Herren Zoten?
    Warum darf man sein Geld nicht selber machen?
    Warum bringt man sich nicht zuweilen um?
    Warum trägt man im Winter Wintersachen?
    Warum darf man, wenn jemand stirbt, nicht lachen?
    Und warum fragt der Mensch bei jedem Quark: Warum?
    Also noch einmal die Frage: Wie kommen Menschen dazu, Sprache so zu verdichten, dass es dann Gedichte sind? Dies geschieht offenbar, seit man gesprochene Sprache verschriftlicht hat. Warum beobachtet man dieses erstaunliche Phänomen der Sprach-Verdichtung in allen Kulturen? Nüchtern betrachtet sind Gedichte überflüssig. Die

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