Von Natur aus kreativ
war er eines Morgens verhaftet.“ Diese Werke wie das Leben von Kafka selbst zeigen, wie jemand aus dem Gleichgewicht geworfen wird, seine Mitte verliert. Jahraus zeigt in seiner spannend zu lesenden Analyse, dass für Kafka das Schreiben der Ausweg war, seine verlorene Mitte zu finden, die Existenz zu bewältigen. So schreibt Kafka über sich selbst in einem Tagebuch: „In mir kann ganz gut eine Koncentration auf das Schreiben hin erkannt werden. Als es in meinem Organismus klar geworden war, daß das Schreiben die ergiebigste Richtung meines Wesens sei, drängte sich alles hin und ließalle Fähigkeiten leer stehen, die sich auf die Freuden des Geschlechts, des Essens, des Trinkens, des philosophischen Nachdenkens, der Musik zu allererst richteten. Ich magerte nach allen diesen Richtungen ab.“ Das Erleben der eigenen Kreativität im Schreiben ist eine Weise, die verlorene Identität wiederzufinden, sich vielleicht seiner Mitte wieder zu versichern. Zwar gelang Kafka selbst dies nicht, doch schaffte er mit seinem Werk einen ungeheuren, ungeheuerlichen Blick darauf, wie wir nicht gemeint sind.
William James: The Principles of Psychology, Cambridge: Harvard University Press 1983 (zuerst 1890).
Mit seinen weit über 1000 Seiten ist dies immer noch eines der bedeutendsten Werke der amerikanischen Psychologie: Hier findet man „alles“. Mit einem Problem in diesem Werk musste ich mich besonders auseinandersetzen, nämlich mit James’ Bestimmung der „subjektiven Gegenwart“. Und hier ist ihm meiner Einschätzung nach ein Denkfehler unterlaufen. James verwendet zwei anschauliche Bilder, um sein Konzept zu verdeutlichen: Gegenwart sei so, als ob man auf einem Pferd im Sattel sitze oder auf einem Segelboot durch die Wellen gleite, und man jeweils nach vorne und zurück schauen könne, während man sich fortbewegt. Es sei demnach so, als würde sich ein bestimmtes Zeitintervall gleichförmig durch die Welt schieben, wie ein Boot durch die Wellen. Die Gegenwart: ein „travelling moment“. Und dies ist das Problem: Eine solche subjektive Gegenwart hätte nur einen abstrakten Anfang und ein abstraktes Ende. Das Gegenmodell ist die „springende Gegenwart“: Bestimmte sensorische Reize – zum Beispiel etwas, was man plötzlich hört oder sieht – führen dazu, dass sich jeweils ein Gegenwartsfenster öffnet und nach einer bestimmten Zeit wieder schließt. Eine solche Gegenwart fließt nicht, sondern sie springt mit bestimmten und auch messbaren Zeitschritten. Aus meinen eigenen Untersuchungen geht hervor, dass die zeitliche „Schrittlänge“ des menschlichen Gehirns bis zu etwa drei Sekunden beträgt.
Daniel Kahneman: Thinking, Fast and Slow, New York: Farrar, Straus & Giroux 2011.
Kahneman, der als Psychologe den Nobelpreis für Wirtschaft erhalten hat, unterscheidet zwei Denksysteme, mit denen wir auf der Grundlage unseres evolutionären Erbes durch die Welt navigieren: System 1 funktioniert automatisch und schnell. Es ist durch Anstrengungslosigkeit gekennzeichnet und unterliegt nicht der willentlichen Kontrolle. System 2 ist durch mentale Anstrengung gekennzeichnet, unterliegt der Kontrolle von Aufmerksamkeit und ist langsam, verglichen mit System 1. Subjektiv verbinden wir mit System 2 solche Begriffe wie „Konzentration“ oder auch „Kontrolle“ unseres Handelns. Einige Beispiele für anstrengungslose Handlungen, die System 1 zugeordnet werden können: ein Auto auf der leeren Autobahn fahren; emotionale Wärme in einer Stimme empfinden; zwei und zwei addieren können; sehen, welches von zwei Dingen weiter entfernt ist; den Gruß eines anderen erkennen. Beispiele für System 2, die mit mentalem Aufwand verbunden sind: der Cocktail-Party-Effekt, sich also auf eine Person zu konzentrieren, wenn alle durcheinanderreden; jemanden mit einem bestimmten Merkmal in einer Gruppe von Menschen ausmachen; sein Verhalten in einer ungewöhnlichen sozialen Situation kontrollieren; einen Preisvergleich von Produkten vornehmen; die Richtigkeit eines logischen Arguments überprüfen. System 1 ist durch Impulsivität, System 2 durch Selbstkontrolle und Aufmerksamkeit gekennzeichnet. System 1 ist kreativ, während System 2 das Ergebnis der Kreativität überprüft.
Immanuel Kant: „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?“, in: Ausgewählte kleine Schriften, Hamburg: Meiner 1969, S. 1 – 9 (zuerst in: Berlinische Monatsschrift, Dezember 1784, S. 481 – 494).
Dies ist wohl die wichtigste Nennung
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