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von Schirach, Ferdinand

von Schirach, Ferdinand

Titel: von Schirach, Ferdinand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verbrechen
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Kante ihres Schreibtisches, schloss die Augen und
schwieg.
    »Weißt du was, wir rufen
deinen Vater an.« Nordeck kam sofort, aber das Einzige, was Philipp sagte, war:
»Achtzehn, es war eine Achtzehn.«
    Petersson erklärte dem Vater,
dass sie die Staatsanwaltschaft benachrichtigen müsse, sie wisse nicht, ob etwas
Schlimmes passiert sei, und Philipp sage ja gar nichts Vernünftiges. Nordeck
nickte. »Selbstverständlich«, sagte er und dachte: >Nun ist es eben so weit.<
     
     
    Der Staatsanwalt setzte zwei
Kriminalpolizisten aus der Kreisstadt in Marsch. Als sie ankamen, tranken Petersson
und Nordeck in der Amtsstube Tee. Philipp saß vor dem Fenster, er sah nach
draußen und reagierte nicht mehr.
    Die Beamten sprachen offiziell
die vorläufige Festnahme aus und ließen ihn in der Obhut von Petersson. Sie
wollten mit Nordeck ins Herrenhaus, um Philipps Zimmer zu durchsuchen. Nordeck
zeigte ihnen die zwei Räume im ersten Stock, die sein Sohn bewohnte. Während
einer der Beamten sich dort umsah, stand Nordeck mit dem anderen in der Eingangshalle.
An den Wänden hingen Hunderte einheimische Geweihe und Trophäen aus Afrika. Es
war kalt.
    Der Polizist stand vor dem
riesigen ausgestopften Kopf eines Schwarzbüffels aus Ostafrika. Nordeck
versuchte die Sache mit den Schafen zu erklären. »Es ist so«, sagte er und
suchte nach den richtigen Worten. »Philipp hat in den letzten vier Monaten ein
paar Schafe getötet. Naja, er hat ihnen die Kehle durchgeschnitten. Die Bauern
haben ihn einmal dabei erwischt und mir das erzählt.«
    »Ah ja, die Kehle durch«,
sagte der Polizist. »Diese Büffel wiegen über 1.000 Kilo, oder?«
    »Ja, sie sind ziemlich
gefährlich. Ein Löwe hat keine Chance gegen ein ausgewachsenes Tier.«
    »Also, der Junge hat Schafe
geschlachtet, ja?« Der Polizist konnte sich kaum von dem Büffel abwenden.
    Nordeck hielt das für ein
gutes Zeichen. »Ich habe die Schafe natürlich bezahlt, und wir wollten auch
etwas mit Philipp unternehmen, aber irgendwie haben wir alle gehofft, dass sich
das wieder legt... wir haben uns wohl getäuscht.« Die Sache mit den Stichen und
den Augen lasse ich besser weg, dachte Nordeck.
    »Warum macht er so was?«
    »Ich weiß es nicht«, sagte Nordeck. »Keine Ahnung.«
    »Klingt komisch, oder?«
    »Ja, klingt komisch. Wir
müssen etwas mit ihm unternehmen«, wiederholte Nordeck.
    »Sieht so aus. Wissen Sie, was heute passiert ist?«
    »Was meinen Sie?«
    »Na, war das auch ein Schaf?«,
fragte der Beamte. Er kam einfach nicht von dem Büffel los und fasste die
Hörner an.
    »Ja, einer der Bauern rief
vorhin auf meinem Handy an. Er hat wieder eines gefunden.«
    Der Beamte nickte abwesend. Er
ärgerte sich, dass er den Freitagabend mit einem Schafsmörder verbrachte, aber
der Büffel war nicht schlecht. Er fragte Nordeck, ob er am Montag auf die
Polizeidirektion in der Kreisstadt kommen könne, um eine kurze Aussage
aufzunehmen. Er hatte keine Lust mehr auf den Papierkram, er wollte nach Hause.
    »Natürlich«, antwortete
Nordeck.
    Der zweite Polizist kam die
Treppe herunter. In der Hand hatte er eine alte Zigarrenkiste mit gelb-brauner
Aufschrift >Villiger Kiel<.
    »Wir müssen diese Kiste
sicherstellen«, sagte er.
    Nordeck registrierte, dass die
Stimme des Beamten plötzlich einen offiziellen Ton hatte. Auch die
Plastikhandschuhe, die er trug, wirkten irgendwie förmlich. »Wenn Sie meinen«,
sagte Nordeck. »Was ist da drin? Philipp raucht nicht.«
    »Ich habe die Kiste hinter
einer losen Fliese im Badezimmer gefunden«, sagte der Polizist. Nordeck
ärgerte sich, dass es im Haus überhaupt lose Fliesen gab. Vorsichtig öffnete
der Polizist das Kistchen. Sein Kollege und Nordeck beugten sich vor und wichen
gleichzeitig zurück.
    Die Kiste war mit Plastik
ausgelegt und in zwei Fächer unterteilt. Aus jedem Fach starrte ein kaum
ausgetrockneter, etwas eingedrückter Augapfel. Auf der Innenseite des Deckels
klebte das Foto eines Mädchens - Nordeck erkannte sie sofort: Es war Sabine,
die Tochter des Grundschullehrers Gerike. Sie hatte gestern ihren sechzehnten
Geburtstag gefeiert, Philipp war dort gewesen und hatte auch früher oft von ihr
gesprochen. Nordeck hatte angenommen, sein Sohn habe sich in sie verliebt. Aber
jetzt wurde er bleich: Das Mädchen auf dem Bild hatte keine Augen, sie waren
herausgeschnitten worden.
    Nordeck suchte die
Telefonnummer des Lehrers in seinem Adressbuch, seine Hände zitterten. Er
hielt den Hörer so, dass die Polizisten mithören konnten.

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