Von Traeumen entfuehrt (eShort)
tot ist. Vincent kann ihn unmöglich alleine hochwuchten, geschweige denn von hier wegschaffen, weshalb ich das Einzige mache, was mir einfällt und hilfreich erscheint: Ich übernehme seinen Körper.
Was für ein schwerer Kerl. Ambrose wiegt sicher eine Tonne. Glücklicherweise hat er auch die nötigen Muskeln, um diese Masse zu bewegen. Trotzdem fühlt es sich an, als würde ich einen dieser Sumoringer-Anzüge tragen. Kate und Vincent helfen mir, Ambrose in ein Taxi zu verfrachten.
Und da begreife ich mit einem Mal, wie außergewöhnlich Kate eigentlich ist. Mutig genug, bei Vincent zu bleiben, obwohl sie weiß, was er ist. Und dann nimmt sie eine der definitiv bizarreren Besonderheiten unserer Daseinsform einfach so mit leicht gerümpfter Nase hin, ganz ohne Drama oder Ausflippen. Das ist wirklich beeindruckend. Unsere Pariser Gruppe hatte lange keinen Neuzugang, und wenngleich es sich um eine Sterbliche handelt, sorgt sie trotzdem für frischen Wind. Ich freue mich richtig darauf, diese einzigartige Frau besser kennenzulernen. Wenn sie nicht Vincents Freundin wäre … Aber den Satz denke ich besser nicht zu Ende.
Doch dann passiert etwas, was dieses Vorhaben verhindert. Charles rettet ein Kind, das von einem Boot ins Wasser gefallen ist. Bei dem Versuch, ein weiteres zu retten, gerät er in die Schiffsschraube.
Die Vorstellung, immer wieder erleben zu müssen, dass Vincent tot und zerstückelt nach Hause gebracht wird, ist für Kate einfach unerträglich. Das erinnert sie viel zu sehr an den Verlust ihrer Eltern. Wenn es das ist, was die bardia ausmacht, sagt sie zu Vincent, dann kann sie das unmöglich aushalten.
Sie trennt sich von ihm. Und er ist, verständlicherweise, am Boden zerstört. Er hört auf zu essen. Wird wieder ganz der gefühlskalte Roboter, der er war, bevor er Kate getroffen hat. Er versucht, eine Schutzmauer um sein Herz zu errichten, dabei verrät sein leerer Blick etwas viel Schlimmeres. Dass da gar kein Herz mehr ist, das Schutz braucht. Er hat es unwiederbringlich an Kate verloren, und Kate ist fort.
Auch in La Maison hinterlässt sie eine große Lücke. Alle Lebensfreude und jeglicher Optimismus, den sie mit einer Leichtigkeit durch ihre Besuche verbreitet hat, sind verschwunden. Ich fühle mich genauso leer wie Vincent. Bin genauso traurig. Und während die Tage dahinziehen, wird mir bewusst, wie sehr Kate mir ans Herz gewachsen ist. Und nicht nur, weil sie die Freundin meines besten Freundes war. Ich muss mir eingestehen, dass sie mir fehlt.
Kapitel 8
I ch weiß nicht, was mit mir los ist. Vincent hat schließlich seine Freundin verloren, nicht ich. Trotzdem fühle ich so etwas wie Trauer. Dabei habe ich sie gar nicht so oft gesehen. Aber sie hat mich bei den wenigen Treffen wirklich beeindruckt.
Aus den Augen, aus dem Sinn , sage ich mir und mache das Einzige, was in so einer Situation angebracht ist – ich rufe eins meiner Mädchen an. Wer kann schon Trübsal blasen, wenn er eine wunderhübsche Frau in den Arm nehmen kann? Doch selbst ein Abend mit der bezaubernden Portugiesin Carli endet, indem ich nach Hause laufe, mich ins Bett lege und bis zum Morgengrauen die Decke anstarre. Mit einer merkwürdigen inneren Unruhe.
Vincent bestraft sich selbst. Er isst kaum. Beim Training oder während der vereinzelten Zusammentreffen mit Numa kämpft er wie ein Verrückter. Wenn wir an Kates Apartmenthaus vorbeikommen, erlaubt er sich nicht mal, einen Blick hinaufzuwerfen. Einmal hat Charlotte, die gerade volant war, ihm gesagt, dass Kate uns entgegenkommt und nur noch ein paar Blocks entfernt ist, da hat er sich einfach umgedreht und ist so schnell wie möglich in die andere Richtung weggegangen.
Kurz darauf patrouillieren wir durch Belleville und prüfen Genevièves Nachbarschaft, da frage ich ihn, wie es ihm geht. Weil ich das Gefühl habe, er möchte darüber sprechen. Er sieht mich mit leeren Augen an und sagt: »Du hattest recht, von Anfang an. Es war dumm von mir, überhaupt etwas mit Kate anzufangen. Das Einzige, was mich tröstet, ist die Vorstellung, dass es ihr ohne mich besser geht. Sie wird sich früher oder später in einen Sterblichen verlieben und dann ein schönes, glückliches, normales Leben führen. Und das hat sie auch verdient.« Die Worte kommen über seine Lippen, klingen aber wie aus einem Lautsprecher. Vincent gibt es nicht mehr.
Ich danke den Göttern, dass ich mich noch nie so sehr in jemanden verliebt habe wie Vincent in Kate. Und obwohl ich meinem
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