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Von Zweibeinern und Vierbeinern

Von Zweibeinern und Vierbeinern

Titel: Von Zweibeinern und Vierbeinern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herriot
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geschehen wäre. Ich hätte meilenweit in der leeren Wildnis herumlaufen können, ohne auf ein Haus zu stoßen.
    Es ist eine Frage, die nie beantwortet werden wird, denn der Schneefall hörte so plötzlich auf, wie er begonnen hatte. Klopfenden Herzens blickte ich mich um, und der dunkle Klecks des Daches meines Wagens in weiter weißer Ferne war ein süßer Anblick für mich. Ich nahm Kurs darauf, mit einem Tempo, das einem Olympioniken Ehre gemacht hätte.
    Erleichtert warf ich meine Skier hinten in den Wagen und ließ den Motor an. Ich hatte Dennor Bank schon weit hinter mir gelassen und war schon ein gutes Stück auf Darrowby zugefahren, ehe mein jagender Puls wieder zu seiner normalen Geschwindigkeit zurückgekehrt war.
    »Bert«, sagte ich am Telefon, »es tut mir furchtbar leid, aber ich habe es nicht geschafft. Ich bin von einem Schneeschauer überrascht worden und mußte umkehren.«
    »Na, da bin ich aber froh, daß Sie umgekehrt sind. Ich habe mir schon Sorgen um Sie gemacht. Hier sind ein paar Burschen, die sich verlaufen haben, im Schnee umgekommen. Ich hätte nicht zulassen dürfen, daß Sie es versuchen.«
    Er machte eine Pause. Dann sagte er wehmütig: »Wenn es nur einen andern Weg gäbe, um Polly zu helfen.«
    Während er sprach, blitzte in meinem Kopf das Bild der Kuh auf, die ihre Milch auf den Stallboden hatte laufen lassen, während ich die Nachgeburt aus der Gebärmutter herausholte. Und noch andere Erinnerungen kamen mir – wenn ich den Uterus von Säuen untersuchte, war das gleiche geschehen.
    »Vielleicht gibt es einen Weg«, platzte ich heraus.
    »Was meinen Sie?«
    »Bert, haben Sie je Ihre Hand in einer Sau gehabt?«
    »Wie?«
    »Haben Sie je eine Sau innerlich untersucht?«
    »Sie meinen... beim Ferkeln?«
    »Ja.«
    »Nein, das überlasse ich lieber euch Ärzten.«
    »Gut, aber ich möchte, daß Sie es jetzt tun. Nehmen Sie warmes Wasser und Seife und...«
    »He, hören Sie auf, Mr. Herriot. Ich bin fest davon überzeugt, daß kein Ferkel mehr in ihr ist.«
    »Das meine ich auch nicht, Bert. Aber tun Sie, was ich sage. Seifen Sie Ihren Arm gut ein und benutzen Sie irgend etwas Desinfizierendes, was Sie im Haus haben. Dann versuchen Sie in die Scheide zu kommen, bis zum Muttermund. Da sie gerade erst geferkelt hat, wird der Muttermund noch offen sein. Versuchen Sie, den Finger durchzustecken und ein bißchen in der Höhlung umherzufahren.«
    »Zum Teufel, darauf bin ich nicht gerade scharf. Und wozu das Ganze?«
    »Oft bringt das die Milch zum Fließen – darum. Und nun gehen Sie und machen Sie, was ich gesagt habe.«
    Ich legte den Hörer auf und setzte mich zum Abendessen an den Tisch. Helen sah mich während der Mahlzeit mehrmals an, als ich auf Jimmys Fragen völlig geistesabwesend antwortete. Sie wußte, daß mir etwas im Kopf herumging, und ich glaube, daß sie nicht überrascht war, als ich beim ersten Klingeln des Telefons sofort aufsprang.
    Es war Bert. Atemlos, aber triumphierend rief er: »Es hat geklappt, Mr. Herriot! Ich hab’s gemacht, wie Sie gesagt haben, und dann hab ich’s mit dem Gesäuge probiert. Aus jeder Zitze kam Milch raus, und vorher war da nicht ein Tropfen gewesen. Es war wie Zauberei.«
    »Trinken die Ferkel?«
    »Nicht zu knapp! Zuerst haben sie darum gekämpft, zu einem guten Schluck zu kommen, aber jetzt liegen sie alle ruhig in einer Reihe und nuckeln. Es ist ein hübscher Anblick.«
    »Ja, großartig«, sagte ich. »Aber noch haben wir nicht gewonnen. Die Ferkel haben zwar die erste lebenswichtige Nahrung bekommen, aber es kann sein, daß Polly morgen oder vielleicht schon heute abend wieder trocken ist. Dann müssen Sie’s noch einmal mit der Hand versuchen.«
    »Oh, verdammt!« Die Begeisterung wich aus Berts Stimme. »Ich dachte, damit hätte ich jetzt nichts mehr zu tun!«
    Der arme Mann mußte diese unangenehme Aufgabe tatsächlich noch mehrere Male tun, und richtig gut gab Polly nie Milch, aber die Ferkel kamen durch, bis sie die Ersatzmilch aus der Dose trinken konnten. Der Wurf war gerettet.
    Auf den großen Schnee des Jahres 1947 folgte der herrlichste Sommer, an den ich mich erinnern kann. Aber noch Ende April lagen im Hochland weiße Streifen Schnee hinter den Mauern und stachen aus dem grünen Moorland hervor wie die Rippen eines riesigen Tieres. Die Straßen jedoch waren wieder frei, und meine Fahrt zu Bert Kealeys Kälbern hatte nichts Dramatisches.
    Als ich meine Arbeit beendet hatte, nahm mich die kleine Tess mit zu ihrer geliebten

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