Von Zweibeinern und Vierbeinern
der Hand. Ich wußte nicht, was es war. Er hielt sie hoch und zog eine 20-Kubikzentimeter-Spritze auf. Dabei beobachtete er aufmerksam den sich hebenden Flüssigkeitspegel und pfiff tonlos durch die Zähne.
»Halt bitte den Schwanz, James«, sagte er und hielt die Nadel über das Hinterteil des Tieres. Mit immer noch erhobener Hand sah er Mr. Biggins an. »Ein ausgezeichnetes Mittel, und glücklicherweise haben Sie ja bisher unsere Medizin gegeben.«
»Warum meinen Sie?«
»Weil es, unvorbereitet angewandt, tragische Nebenwirkungen haben kann.«
»Sie meinen... es könnte das Tier töten?«
»Vermutlich«, murmelte Siegfried. »Aber Sie haben nichts zu befürchten. Sie hat ja Sulphanilamid bekommen.« Er wollte gerade die Nadel einstechen, als der Bauer die Sprache wiederfand.
»He, he, stopp! Moment! Tun Sie das nicht!«
»Was ist los, Mr. Biggins? Stimmt etwas nicht?«
»Nein, nein, aber vielleicht ist da ein kleines Mißverständnis.« Widersprechende Gefühle jagten über das Gesicht des Bauern. »Es ist nämlich so – ich glaube, sie hat noch nicht genug von dem Zeug bekommen.«
Siegfried ließ den Arm sinken. »Haben Sie ihr zu geringe Dosen gegeben? Ich habe doch genaue Anweisungen auf die Packungen geschrieben, wenn ich mich recht erinnere.«
»Das stimmt. Ich muß ein bißchen durcheinander gewesen sein.«
»Oh, das macht nichts. Wenn Sie sie wieder auf die volle Dosis setzen, wird es schon in Ordnung gehen.« Siegfried stach die Nadel ein und ignorierte Mr. Biggins’ Alarmrufe.
Als er die Spritze ins Kästchen zurücklegte, seufzte er erleichtert auf. »So, ich denke, das wird alles wieder ins Lot bringen. Aber denken Sie daran: Sie müssen wieder mit den drei Teelöffeln anfangen, und Sie dürfen erst aufhören, wenn die Packung aufgebraucht ist. Die Kuh ist in einem so schlechten Zustand – ich bin überzeugt, daß Sie noch eine Packung brauchen werden. Aber das werden Sie uns wissen lassen, nicht wahr?«
Als wir wegfuhren, starrte ich meinen Kollegen neugierig an. »Was, zum Teufel, hast du da injiziert?«
»Oh, nur eine Mischung von Vitaminen. Das wird dem armen Vieh gut tun. Aber mit der Holzzunge hat es nichts zu tun. Es gehörte nur zu meinem Plan.« Er lächelte listig. »Jetzt wird er das Sulphanilamid anwenden müssen. Und es wird interessant sein zu sehen, was passiert.«
Es war wirklich interessant. Binnen einer Woche war Mr. Biggins wieder bei uns in der Praxis. Er sah mich verlegen an.
»Kann ich noch eine Packung haben?« murmelte er.
»Selbstverständlich.« Siegfried öffnete weit die Arme. »So viel Sie wollen.« Er lehnte sich über den Schreibtisch. »Ich nehme an, Ihrer Kuh geht es besser?«
»Ja.«
»Hat sie aufgehört zu sabbern?«
»Ja.«
»Und setzte Fleisch an?«
»Ja, ja, tut sie.« Mr. Biggins senkte den Kopf, als wollte er nicht noch mehr Fragen beantworten. Siegfried gab ihm eine neue Packung.
Durchs Fenster sahen wir ihn über die Straße gehen. Siegfried schlug mir auf die Schulter. »So, James. Das war ein kleiner Sieg. Endlich einmal ist es uns gelungen, Mr. Biggins zu schlagen.«
Ich lachte auch. Es war ein schöner Gedanke. Und sicherlich war es das einzige Mal, daß wir ihn geschlagen haben.
Kapitel 14
Es ist nichts sehr Aufregendes, den Tuberkulintest zu machen, und ich war ganz froh, als George Forsyth, der Versicherungsvertreter, in den Stall kam und ein Gespräch anfing.
Es war auf dem kleinen Hof der Brüder Hudson. Clem, der ältere, etwa vierzig Jahre alt, schrieb gewissenhaft die Zahlen ins Buch, während Dick, der ein paar Jahre jünger war, die Haut in den Ohren rieb, um die Markierungspunkte zu finden.
Während ich die Haare wegschnitt, Messungen vornahm und Injektionen machte, lauschte ich Georges Bemerkungen über das Wetter, über die letzten Kricketergebnisse und über die Schweinepreise. Er lehnte an der Wand, zog lässig an seiner Zigarette, als ob er Zeit wie Heu hätte, aber ich hatte deutlich das Gefühl, daß er nicht nur zu einem Schwatz hergekommen war.
Nach wenigen Minuten kam er zur Sache.
»Wissen Sie, Clem«, sagte er, »Sie beide sollten ordentlich versichert sein.«
Clem trug sorgfältig eine Zahl ins Buch ein. »Wovon sprechen Sie? Wir haben den Wagen versichern lassen, wir sind gegen Feuer und Blitzschlag versichert. Das ist doch genug – oder?«
»Genug?« George war entsetzt. »Das ist nichts. Sie sollten zum Beispiel beide eine Lebensversicherung haben.«
»Nein, nein.« Clem schüttelte den Kopf.
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