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Voodoo Holmes Romane (German Edition)

Voodoo Holmes Romane (German Edition)

Titel: Voodoo Holmes Romane (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berndt Rieger
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lausch­ten, konn­ten wir uns noch nicht vors­tel­len, was er da­mit mein­te. Heu­te reicht es, an Tyne zu den­ken, um einen kal­ten Schau­der den Rücken hin­a­b­lau­fen zu spüren. Ich sehe dann vor dem in­ne­ren Auge die Ah­nen­ga­le­rie im lan­gen Rund­gang des Schlos­ses, das vier­eckig an­ge­legt war, und nur le­bens­große Ge­mäl­de je­ner Mit­glie­der er­fass­te, die als ver­rückt ge­gol­ten hat­ten. Wer sie vor Au­gen hat­te, des­sen See­len­heil war selbst in Ge­fahr. Der Ein­fluss der Ge­mäl­de war fa­tal, ge­ra­de während der Win­ter­mo­na­te. Man ver­such­te, et­was Be­we­gung zu ma­chen und wur­de von der Un­wirt­lich­keit der Ge­gend da­von ab­ge­hal­ten, vor das Tor zu tre­ten. Statt­des­sen merk­te man, daß man nicht spa­zier­te, son­dern Tag für Tag durch Gän­ge ge­tor­kelt war, die von flackern­den Fackeln er­hellt und auch et­was ge­wärmt wur­den, und daß man da­bei wie­der und wie­der in Ge­sich­ter auf Ge­mäl­den ge­st­arrt hat­te, die ent­we­der ge­walt­sam ge­stor­ben (in dem Fall tru­gen sie ihre Köp­fe un­ter dem Arm) oder ver­rückt ge­wor­den wa­ren (in dem Fall sa­hen sie aus, als trü­gen sie ihre Köp­fe am liebs­ten un­ter dem Arm). Wenn man das Licht-Schat­ten-Spiel der Fackel­flam­men be­rück­sich­tig­te, von de­nen man beim Ge­hen leicht ins Tau­meln ge­riet, und dann noch den An­blick die­ser Ge­sich­ter, dann darf man sich nicht wun­dern, daß vie­le Schloss­be­woh­ner, zum Teil auch das Per­so­nal, auf Tyne chro­nisch hal­lu­zi­nier­ten.
    Ein au­to­ma­ti­scher Rück­zugs­punkt war da die Schloss­bi­blio­thek, ein rie­si­ger, ho­her Raum im obers­ten Stock­werk des Ge­bäu­des, mit ei­nem atem­be­rau­ben­den Blick auf das Meer. Sie ent­hielt Schrif­ten seit 1182, dar­un­ter die Auf­zeich­nun­gen der Er­mitt­ler, seit­her, die sich mit den Mord­fäl­len be­schäf­tigt hat­ten, und die wis­sen­schaft­li­chen Ar­bei­ten, die Wol­ken­for­ma­tio­nen be­tref­fend. Die frühen Auf­zeich­nun­gen wa­ren in la­tei­ni­scher Spra­che an­ge­fer­tigt wor­den, vom späten Mit­tel­al­ter dann in ei­nem al­ter­tüm­li­chen Eng­lisch. Wer das hier so Fall für Fall stu­dier­te und ge­ra­de durch die end­lo­sen Gän­ge des Schlos­ses ge­tor­kelt war, war schnell ge­neigt, Schloß Tyne als für Le­ben­de un­be­wohn­bar ein­zu­stu­fen. Nur die große Zeit­span­ne zwi­schen den Mor­den, manch­mal ein Men­schen­le­ben, ver­hin­der­te wahr­schein­lich, daß man das Schloss auf­gab und den vier Win­den über­ließ, oder zu­min­dest jene vier see­sei­ti­ge Ge­mächer mit den großen Bal­ko­nen, über die der heim­tücki­sche Mör­der je­weils nachts ein­ge­drun­gen war.
     
    Zu­rück nach Lon­don in den Shay-Club. „Es geht also um Mor­de?“ frag­te Hol­mes ge­ra­de.
    „ Ja, es wa­ren ge­walt­sa­me To­des­fäl­le“, mein­te Cum­ber­ton-Shoy­le. „Das Merk­wür­di­ge dar­an ist nur, daß er nur ein­mal pro Ge­ne­ra­ti­on zu­schlug, dann aber im­mer auf die­sel­be Art und Wei­se.“
    „ Ein Mör­der, der Jahr­hun­der­te leb­te“, kom­men­tier­te Hol­mes.
    „ Ge­wis­ser­maßen. Es übers­teigt das Vors­tel­lungs­ver­mö­gen. Er schlug al­len, die er töte­te, im Ver­lauf ei­nes ver­zwei­fel­ten Zwei­kamp­fes das Haupt mit ei­nem Schwert ab. Des­halb hört man ja die­se Ge­schich­ten im Dorf. Schon im Mit­tel­al­ter hat­te sich die Le­gen­de ei­nes Flug­tie­res her­aus­ge­bil­det, ei­nes Dra­chen, der aus den Tie­fen des Mee­res her­vor­flog, um an der Brü­stung der Bal­ko­ne von Tyne Fuß zu fas­sen und mit vor­ge­r­eck­tem stäh­lern har­ten Haupt in die Kam­mern nach Men­schen­fleisch zu fah­ren, das er dann warm ver­speis­te. Es sind Greu­el­mär­chen, ge­wiss. Aber die­se ste­hen in di­rek­ter Ver­bin­dung zu den nack­ten Tat­sa­chen. Der Mör­der kon­zen­trier­te sich im­mer auf die Köp­fe sei­ner Op­fer, und fraß tat­säch­lich nur jene, wo­bei man dann einen kopf­lo­sen Leich­nam fand.“
    Bei die­sen Wor­ten fiel mein Blick auf Lady Cum­ber­ton-Shoy­le, die die­se Erzäh­lun­gen zwar ken­nen moch­te, nun aber sicht­lich blaß ge­wor­den war. Ich kram­te in mei­ner Ta­sche nach dem

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