Voodoo Holmes Romane (German Edition)
den größten Skeptiker zu überzeugen. Daß ein Wölkchen aus Zufall wieder und wieder Momentaufnahmen eines nahenden Ritters aufnimmt, ist unwahrscheinlicher als der Schluss, den der junge Holmes und ich während des Aufenthaltes auf Tyne aus unseren Aufzeichnungen schöpften: Daß es sich um ein unerklärliches, aber handfestes Faktum handelte, dunkel in seiner Bedeutung, aber unanzweifelbar. Ähnlich war es mit jener hohen Frau, einer weißen, langgezogenen Formation, an der ganz klar der Kopf mit den üppigen Haaren und ein graziler Leib in verschiedenen Posen zu erkennen war: Mitunter drohend, dann neckisch, auch abgewandt, wie zufällig, ein Ausdruckstanz in den Wolken. Und es war diese „Hohe Frau“, die die Wurzel des Unglücks bedeutete, von dem noch zu erzählen sein wird.
Nun aber weiter mit jenem Abend im Shay-Club. Das Gespräch drehte auf die Cumberton-Shoyles und dem Wahnsinn, dem diese Familie offenbar verfallen war. Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit schien es sich noch um eine sehr tüchtige Familie gehandelt zu haben, die sich durch die Liebe zur Seefahrt auszeichnete. Man brachte im Laufe der Jahrhunderte beträchtliche Schätze nach Schloss Tyne. Darunter befanden sich auch immer wieder eine Auswahl exotischer und in der Regel bildhübscher Frauen, die meistens unfruchtbar bleiben. Wenn sie aber ein Kind gebären, dann nur Söhne, die schon bei der Geburt durchwegs mit schwarzen Haaren bedeckt sind. Auch unser Gastgeber, ein ansehnlicher, kräftiger Mittdreißiger, ohne Erben geblieben, wie er nun eingestand, wobei er hoffnungsvoll die Hände seiner zweiten Ehefrau nahm, die ihn dabei aufmunternd anlächelte. „Meine erste Ehefrau, Lidija, ist ja leider verstorben, bevor mir ein Nachfahr geschenkt werden konnte.“
„ Auf Familienart?“ fragte Holmes.
Cumberton-Shoyle schien zuerst nicht zu verstehen. Dann nickte er betroffen. „Man fand sie eines Morgens in ihrem Schlafgemach. Es war schrecklich.“
„ Zumindest hat jeder geglaubt, daß sie es war“, warf seine Gattin ein.
„ Man konnte sich nicht sicher sein?“ fragte Holmes nach.
„ Sie war eben auch ...“ Die junge Dame zögerte. Dann machte sie mit dem Zeigefinger eine Querbewegung am Hals.
„ Bevor ich den Fall übernehme“, fuhr Holmes nach einer kleinen Pause fort, „möchte ich Sie etwas fragen, Lord Cumberton.“
„ Nein, ich habe nichts damit zu tun“, sagte er.
„ Waren Sie in den Tod Ihrer ersten Frau in irgendeiner Art oder Weise verwickelt?“
„ Ich schwöre es Ihnen, nein.“
„ Gut, dann bin ich Ihr Mann. Schon, um diese reizende Dame zu beschützen. Sie sind frisch verheiratet, nicht wahr?“
Die beiden nickten und küssten sich.
„ Und nun fahren Sie doch nach Tyne, nicht wahr?“
„ In die Höhle des Löwen“, versuchte seine Lordschaft zu scherzen. Seine Gemahlin hatte Sinn für Humor, wiederholte die Geste von vorhin, streckte die Zunge aus und verdrehte die Augen. Doch als das Gelächter geendet hatte, glaubte ich in ihrem Gesicht Todesangst zu lesen.
Auch Holmes schien mit einem Mal beunruhigt zu sein. Er packte mich am Arm und rief: „Watson!“ Schon war er aufgesprungen und streckte unseren Gesprächspartnern die Hand hin: „Bis morgen. Sie wohnen im Carlton?“ Cumberton-Shoyle, über die plötzliche Wandlung, die der junge Holmes zeigte, überrascht, nickte. „Ich werde Ihnen gegen zehn meine Aufwartung machen.“ Schon eilte Holmes zur Garderobe, hatte seinen Mantel übergeworfen. Als er seine Mütze aufsetzte, fragte ich, ratlos: „Was?“ Er warf mir Stock und Mantel und stürzte hinaus ins Freie.
Draußen auf der Holborn Street rief er ein Fuhrwerk heran und schon ging es in Höllentempo in die Richtung des großen, schwarzen Gebäudes
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