Voodoo Holmes Romane (German Edition)
besten Freund.“
Nach dieser schrecklichen Episode fuhren wir also nach Paris, wo eben die diesjährige Weltausstellung eröffnet worden war. Ich war dankbar dafür, den Ärmelkanal zu queren, denn es gibt wenige Städte in der Welt, in denen man sich so gut verlieren kann wie in der Seinemetropole. Natürlich war es möglich, daß jemand, der meinem Freund Sherlock so ähnlich sah wie sein Bruder, in einer Menschenmenge durchaus Aufmerksamkeit erwecken konnte, weshalb ich verstehen konnte, daß er nach unserer Ankunft bekannt gab, er wolle so lange im Hotel bleiben, bis ihm ein Lokalansässiger beigebracht hätte, wie man Akkordeon spielt. Ich aber war begierig darauf, möglichst rasch zum Ausstellungsgelände zu kommen, und hatte dort auch keine unliebsamen Begegnungen zu befürchten, wie ich meinte. Deshalb kann ich das Gefühl, das mich durchzuckte, als ich dann in diesem Gemenge Elin wiedersah, nicht anders beschreiben als mit dem Wort, daß ich „elektrisiert“ war. Ich dachte, sie sei aus dem Balkon eines brennenden Schlosses in die Meerestiefen gestürzt oder habe sich mit dem Rauch und dem Feuer eines zerstörerischen Gottes vermengt, der für das Schleudern von Blitzen bekannt war und vollständig aus Elektrizität bestand. Nicht aber erwartete ich, daß sie wie ein normaler lebendiger Mensch durch eine Ausstellung spazierte.
Es geschah abends in der unnatürlichen Helligkeit des Lichtpalastes mit seinen Tausenden und Abertausenden von elektrischen Lampen. Es waren ja seit jener ersten Pariser Weltausstellung im Jahre 1889, bei der uns diese technische Errungenschaft präsentiert worden war, elf Jahre vergangen und längst hatte im Stadtkern Londons so manche schmucklose, strahlende Glühbirne das schummerige Gaslicht abgelöst. Immer noch aber stand man sprachlos vom Wunder des warmen, fast weißen Scheines, der an Tageslicht gemahnte und nun, da ein riesiger Gebäudekomplex davon erstrahle, so schien, als habe sich der Sternenhimmel, der dahinter verblasste, auf Erden eingenistet. Nun erst fiel mir auf, daß die diesjährige Ausstellung sich das Thema „Licht“ und die „Elektrizität“ vorgenommen hatte, das uns in Schottland zugesetzt hatte.
Da war sie nun, Lady Cumberton, die Witwe. Sie hielt sich abseits, die blonden Locken unter einem Cape verborgen. Aber sie war es unzweifelhaft, und als ich ihr wie ferngesteuert bei ihrem gemächlichen Gang durch die Menschenmenge folgte, schlug mir das Herz bis in den Hals. Man wird verstehen, warum. Nur unter Aufbietung aller rhetorischen Künste und durch die Kraft seiner gedanklichen Analysen war es dem jungen Holmes gelungen, die Polizei von Chiswick davon zu überzeugen, daß wir keineswegs Täter, sondern bloß Zeugen in der Affäre waren, die unserem Gastgeber den Kopf gekostet hatte. Es war dies in der Familie Cumberton-Shoyle ein Traditionsbruch, daran bestand kein Zweifel, und das im doppelten Sinn. Sir Oswin war der erste männliche Spross, der nicht den Verstand, sondern gleich den Kopf verloren hatten – ein kleiner, aber bezeichnender Unterschied. Und Lady Elin war die erste Frau dieser Familie, die keine Leiche zurückgelassen hatte. So lange man von ihr auch sonst keine Spur fand – und man kann sich denken, daß die Polizei und die örtliche Bevölkerung das Ufer unter dem Balkon ihres Zimmers besonders gut abgesucht und in den Fluten gefischt hat – konnte die Argumentation meines Freundes, sie habe ihren Mann getötet, das Feuer gelegt und sei daraufhin geflüchtet, durchgehen.
Elin bewegte sich wie traumverloren durch das Gewühl und schien an den belanglosesten Punkten des Ausstellungsgebäudes am
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