Voodoo Holmes Romane (German Edition)
ihr Leben gerettet werden konnte. Die Tür barst, als wir uns gemeinsam dagegen warfen, und wir fielen in schwarzes, rußiges Gemach, das beinahe schon ausgebrannt war. Was aus Holz gefertigt war, glühte noch, der steinerne Rest war so heiß, daß die Haut unserer Hände, als wir uns erhoben, von der Hitze Blasen werfen würde. Draußen auf dem Balkon war da eine Bewegung, und dann vergaß ich alles um mich vor Schreck und Verwunderung: Dort auf der Brüstung stand ein Wesen, ja, man konnte es so nennen, es schien dort zu stehen, aus Dampf. Es war eine Rauchsäule, und in dieser Säule wimmelte etwas, wie von tausend auf den Balkon geflüchteten Ratten, und über dieser Säule hing ein Mantel, der mich fatal an den sogenannten Schabrackenmantel erinnerte, eine jener Wolkenformationen, und ganz oben, als sich dieses Wesen langsam erhob wie ein Vogel, lugte eine Hand hervor, an der ein Schädel baumelte, ein Schädel, dessen Gesicht nur für Sekundenbruchteile zu sehen war, und das doch ohne Zweifel unserem Gastgeber gehört hatte. Unbeseelt, maskenhaft blinkte es dort auf, und dann vernahm man das scharfe Geräusch einer umschlagenden Windbö und sah das Wesen weiter steigen, mit größerer Geschwindigkeit, und sah dabei fast nur den Mantel, unter dem etwas wie Rauch hervorquoll, und nicht einmal mehr den Schädel, es war zu weit. Wenig später tauchte diese Erscheinung in Wolken und Nacht ab. Als aber die Dienstboten mit Fackeln in die Kammer stürzten, entdeckten sie nichts als den entseelten Leib ihrer Lordschaft, und sahen uns wie seine Mörder über der kopflosen Leiche stehen. Das Merkwürdige daran aber: Die Amphore, das Tongefäß, das geraubte altägyptische Geschenk eines Klienten, dessen Name mir immer noch nicht einfallen wollte, diese Amphore lag vor der Leiche, und das in einer Position, als könnte es sich dabei um den Kopf seiner Lordschaft handeln. Erst als wir die Amphore zur Seite rollten, sah man, daß er tatsächlich kopflos war, und als wir die Amphore aufhoben und ihr in den Schnabel guckten, war dort nur Leere.
11
Die Heimfahrt war schrecklich, und am Bahnhof erwartete uns dann Sherlock. Der Zug fuhr in den späten Abendstunden in den Kopfbahnhof ein, und es brannten die Gaslaternen. Vielleicht erschien es mir deshalb so, als ob mein Freund um Jahre gealtert wäre. Er lächelte nicht, als er uns mit den Koffern half, und ich konnte es ihm nicht verdenken. Und dann, als wir auf den Vorplatz traten, regnete es, und das mit einer solchen Wucht, wie es selbst für London ungewöhnlich ist. Voodoo schien das alles nicht anzufechten, denn nachdem er seinen Bruder um einige Pfund angeschnorrt hatte, hüpfte er in eine Droschke, um zum Leicester Square zu fahren, denn er hatte in der Abendzeitung gelesen, daß Sarah Bernhardt im Dorchester eine Spätvorstellung gab.
Sherlock und ich hatten gute Schirme dabei, und so gingen wir nun wie ein älteres Ehepaar nebeneinander her und zogen Bilanz. Mir war klar, daß mein Freund zuerst seinen Gefühlen Luft machen mußte, und hörte zu, wie er von „Schande“ und „Skandal“ sprach und „guten Namen verloren“. Zweifelsohne würde dies der erste Fall sein, bei dem ein Holmes’scher Auftraggeber sprichwörtlich den Kopf verloren hatte. Weit schlimmer aber war die Tatsache, daß in dem Wirrwarr, das aus meinen Briefen von Schloss Tyne sprach, nichts als Hilflosigkeit gesprochen hatte, so Sherlock. „Ich habe Sie gebeten, auf den Jungen aufzupassen“, ermahnte er mich, „und was geschieht: Sie überlassen ihm, dem Unerfahrenen, das Feld. Und jetzt ist eingetreten, was ich die ganze Zeit befürchtete, der größtmögliche Schaden. Seine Lordschaft ist tot, seine Ehefrau verschwunden, und das Schloss abgebrannt. Also, nun einmal ganz
Weitere Kostenlose Bücher