Voodoo Holmes Romane (German Edition)
Erinnerungen, die ich habe, sind die aus dem Lichtspiel, ein kurzer Streifen mit dem Titel: „An Afternoon by the Seashore“. Ich weiß, daß ich in diesem Film gelebt habe, ich kenne ihn wie meine Westentasche, und das einzige Merkwürdige daran ist, daß diese Erinnerungen lautlos sind, und in Schwarzweiß.“
„ Wie alle Erinnerungen“, sagte ich.
„ Mit dem Unterschied, daß ich nur eine Figur auf Zelluloid war, und von einem Gott – denn nichts weniger als ein Gott muß er sein – in Fleisch und Blut verwandelt wurde.“
„ Einverstanden.“ Ich versuchte, mich mit diesem Gedanken anzufreunden.
„ Das muß doch irgendwie medizinisch nachzuweisen sein, oder?“ fragte sie mich jetzt im drängenden Tonfall. „Mit einer Blutabnahme? Es geht doch nicht, daß man eines Tages flackerndes Licht ist, und im nächsten Moment ein Mensch aus Fleisch und Blut, oder?“
“Es erscheint auf den ersten Blick unwahrscheinlich, das gebe ich zu“, meinte ich vorsichtig.
„ Es gab einen Puff, und die Filmspule brannte, an jenem Donnerstagnachmittag im Odeon in der Nähe der Place Vendome. So hat man es mir nachher erzählt. Er selbst sagte, er habe mich auf der Leinwand gesehen und er sei sich nicht bewusst gewesen, mich zum Leben erwecken zu wollen. Er habe es sich nur gewünscht.“
„ Und der Film verbrannte.“
„ Die Kopie verbrannte, das ist wahr. Andere Kopien aber liefen weiter, in anderen Lichtspieltheatern. Auf diesen war ich dann aber verschwunden. Man kann es sehen, daß ich einmal in der Handlung vorgekommen bin. Die Kinder spielen am Strand, und man merkt, sie richten ihre Rede an ihr Kindermädchen, das nicht da ist. Die Eltern ermahnen das Kindermädchen, und einmal wandern Picknickkorb und Spielzeug, wie von Geisterhand getragen, durch die Luft. Ich fehle in den Szenen, oder jemand wie ich. Das Lichtspiel wurde zum Rätsel, zum Geheimnis, und wird immer wieder gezeigt, weil die Menschen diesem Geheimnis auf die Spur kommen wollen. Der Regisseur, ein Amerikaner, hat telegraphisch versichern lassen, daß er dafür nicht verantwortlich sei, was die Popularität von „An Afternoon by the Seashore“ noch erhöht hat. Der Gott, der mich befreite, sagte, er hatte den Wunsch dazu verspürt, es hatte ihn die Hoffnungslosigkeit gerührt, die ich spielte.“
„ Der Gott, wie Sie sagen“, ich räusperte mich, „wie lebt es sich mit ihm? Ich nehme doch immerhin an, daß Sie das tun, oder?“
Sie senkte den Kopf.
„ Wollen Sie mir davon nicht erzählen?“
„ Es darf von ihm kein Bild geben“, sagte sie.
„ Vielleicht deshalb, weil es für das alles eine ganz naheliegende Erklärung gibt, nicht wahr? Sie waren Schauspielerin, das kann ja sein. Aber das Lichtspiel scheint ein Scherz zu sein, eine interessante Anspielung, vielleicht darauf, daß man Dienstboten nicht sehen darf, also ein künstlerischer Einfall. Und Sie waren die Freundin eines Mannes, der Ihnen wie ein Gott erschien, oder die Tochter oder sonst jemand. Sie besuchten mit ihm das Lichtspieltheater und bekamen einen Schlag auf den Kopf vom Kartenabzwicker, und Ihr Freund war so rücksichtsvoll, für Ihre Amnesie eine poetische Geschichte bereitzuhalten. Sehen Sie, das ist die Kraft der Vernunft – nicht, daß ich meine, recht zu behalten, sondern nur, daß es auch andere Auslegungen geben kann als die Ihre, und das mit höherer Wahrscheinlichkeit.“
„ Ich kann mir vorstellen, daß Sie so denken“, meinte sie. „Aber es wird Ihnen auch klar sein, daß das keinen Unterschied macht. Es gibt den Film und es gibt mich und meine Geschichte. Und Ihre Interpretation ist genauso gültig für Sie wie meine für mich.“
„ Ja, das ist wahr“, gab ich zu, „und doch gibt es eine Geschichte, die wir gemeinsam erlebt haben und das aus einer ähnlichen Perspektive, nämlich Tyne.“
„
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