Voodoo Holmes Romane (German Edition)
dünn geworden, Elin“, sagte ich, „waren Sie krank?“
Wir waren einige Schritte gegangen, und sie blieb stehen, wandte sich mir zu, trat dann ganz nahe heran, fasste den Umschlag meiner leichten Jacke und küsste mich auf die Wange. Ihre Hände dufteten, und ihr Gesicht.
„ Sie Guter“, sagte sie, „danke für den Mantel, und Ihre Geduld. Der Mantel ist schön mollig warm. Ihre Körperwärme hat etwas von Bierstube und deftigem Essen, John. Mögen Sie es, wenn ich Ihren Namen nenne?“
Ich nickte. Die Frage war mir peinlich, also fuhr ich unternehmerisch fort: „Dann gehen wir jetzt einmal in eine Kneipe und wärmen Sie ganz auf, und dann erzählen Sie mir, was Sie mir sagen wollen, meine Liebe.“
Gesagt, getan. Wir hockten in einer jener zahllosen Gaststätten am Montmartre (jener, die Holmes und ich kurz zuvor aufgesucht hatten, ich wollte keine Experimente eingehen) und waren von einem mir weiter unbekannten Fleischgericht wunderbar satt geworden und gossen nun schon die zweite oder dritte Flasche Weißweins nach, ein herrliche Landwein, wie ich ihn noch nie gekostet hatte, leicht, aber voll im Geschmack, überhaupt nicht sauer und mit der Eigenschaft, die Mundschleimhaut wohlig zu kitzeln. Wir hatten uns über Belangloses unterhalten, die Weltausstellungen, und das Faktum, daß Paris jedes Mal alle anderen Städte als Veranstalter übertroffen hatte. Als ich erzählte, daß ich schon 1889 bei der Weltausstellung in der Stadt gewesen sei, damals, als ich noch an der Sorbonne studierte, sagte sie: „Das ist interessant. Damals war ich auch schon da. Man kann sagen, damit habe alles begonnen.“
Ich merkte, daß nun der Augenblick gekommen war, an dem die ärztliche Konsultation begann, und setzte mich zurecht, denn es war mir unbehaglich bei dem Gedanken. Denn ungeahnt der Gespräch, die ich mit Holmes über den Fall geführt hatte, war mir doch klar, daß diese Gedanken eine Seite der Realität waren, und die Dinge des Lebens etwas anderes. Man kann Menschen mythologisch überhöht betrachten, wie das der junge Holmes tat, und dann geheimnisvolle Zusammenhänge erahnen, mit denen die Menschheit miteinander verstrickt ist. Man kann aber auch die nüchterne Betrachtungsweise wählen. Nach dieser befand ich mich als Engländer mittleren Alters mit einer zweifelhaften jungen Dame in einem Pariser Etablissement. Was wusste ich denn wirklich über sie und etwaige Beschwerden, zu denen sie mich konsultieren wollte? Sie würde doch sicherlich nicht das Gespräch auf das Götterelektron bringen, von dem sie vielleicht ahnte, oder das sie in ihren Gefühlen erlebte, doch von dem ihr Verstand womöglich gar nichts wusste. Was waren denn die oberflächlichen Wahrheiten in ihrem Fall? Welches Schicksal hatte sie denn in dem Alltag, den sie lebte? War Sie eine Kokotte gewesen und Syphilitikerin geworden, hatte sie damals ein Kind verloren, wurde vergewaltigt, lebte absinthabhängig in einem grünen Schleier oder dämmerte als Opiumsüchtige in Boudoirs? Aber so jung wie sie war, was mochte sie als Mädchen damals so erschüttert haben, daß es ihr so schwer fiel, mir davon zu erzählen?
„ Ich kann Sie verstehen“, sagte sie rasch, „es war gerade so gemütlich, und ich kann mich gar nicht entsinnen, wann ich mich das letzte Mal so gelöst gefühlt habe, so sorgenfrei. Aber ich bin Ihnen eine Erklärung schuldig, schon wegen der Vorfälle auf Tyne.“
„ Ja“, sagte ich ratlos.
„ Sie können sich erinnern, daß ich Sie befragte, wegen meiner Gesundheit.“
„ Ja. Und die war dann ja, wie die Untersuchung ergab, tadellos. Zumindest erschien es mir so.“
„ Es mag Ihnen so erschienen haben, Doktor, und es war für mich auch eine große Erleichterung, um nicht zu sagen,
Weitere Kostenlose Bücher