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Vor dem Frost

Vor dem Frost

Titel: Vor dem Frost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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wirtschaftlich gesichert. In einer Geste der Verachtung gegenüber dem Reederadel wählte er eine Frau aus einem Ort so weit vom Meer entfernt, wie es in Norwegen überhaupt ging, nämlich aus einer Waldgemeinde östlich von R0ros, tief in der Wildnis, die sich nach Härjedalen hin erstreckt. Dort fand er eine Frau, die Maigrim hieß und auf einsamen Waldwegen die Post zu den entlegenen Höfen brachte. Sie bauten in B^rum bei Oslo ein großes Haus und bekamen in rascher Folge drei Kinder, zuerst Torgeir und danach zwei Mädchen, Anniken und Hege.
    Torgeir Langaas hatte früh erkannt, was von ihm gefordert wurde, aber ebenso, daß er nie den Erwartungen, die in ihn gesetzt wurden, entsprechen könnte. Er verstand sich weder auf die Rolle, die er zu spielen hatte, noch begriff er, wovon das Schauspiel handelte oder warum gerade er die unbegreifliche Hauptrolle spielen sollte. Schon in den Teenagerjahren hatten der Protest und der Widerwille sich geregt. Anton Helge Langaas hatte einen von Anfang an verlorenen Kampf gekämpft. Am Ende hatte er resigniert und eingesehen, daß Torgeir nicht sein Nachfolger werden würde. Statt dessen wurde eins der Mädchen seine Rettung. Hege glich ihrem Vater, zeigte früh Anzeichen eines zielgerichteten Willens und nahm mit zweiundzwanzig einen Direktorenposten im Familienkonzern ein. Da hatte Torgeir mit einer verzweifelten Zielgerichtetheit, doch von ganz anderer Art als der Heges, die lange Reise ins Abseits angetreten. Er hatte bereits verschiedene Formen von Mißbrauch entwickelt, und obwohl Maigrim es zu ihrer Lebensaufgabe machte, ihn wieder auf die Füße zu bringen, blieben all die teuren Kliniken und die mindestens ebenso teuren Psychologen und Therapeuten erfolglos.
    Schließlich kam der große Zusammenbruch. An einem Heiligabend verteilte Torgeir Weihnachtsgeschenke in Form von verfaulten Kotelettknochen, alten Autoreifen und schmutzigen Pflastersteinen. Danach machte er einen Versuch, sich selbst, seine Schwestern und seine Eltern anzuzünden. Er floh von zu Hause, um nie zurückzukehren. Er hatte Geld zur Verfügung und verschwand hinaus in die Welt. Als sein Paß ablief und nicht erneuert wurde, wurde weltweit nach ihm gefahndet. Doch niemand fand ihn in den Straßen von Cleveland, wo er sich herumtrieb. Er verheimlichte, daß er Zugang zu Geld hatte, wechselte die Bank, wechselte alles, außer seinem Namen, und hatte noch immer ein Vermögen von fast fünf Millionen norwegischen Kronen, als er dem Mann begegnete, der sich als sein Erlöser und Gott offenbarte.
    Das meiste hiervon stand natürlich nicht in den Papieren, die Jack ihm übergeben hatte. Doch es waren nicht mehr als zwei Sitzungen im Innern des Brückenpfeilers nötig, Torgeir dazu zu bringen, ihm die vollständige Geschichte zu erzählen.
    Danach hatte er als der Erlöser, der er jetzt war, Torgeir Langaas aus der Gosse aufgehoben. Er hatte seinen ersten Jünger bekommen.
    Aber ich sah seine Schwäche nicht, dachte er noch einmal. Die Wut, die zu der unbeherrschten Gewalttat führte. Er wurde vom Wahnsinn gepackt und schlug die Frau in Stücke. Aber es lag auch etwas Positives in Torgeirs unerwarteter Reaktion. Tiere zu verbrennen war eine Sache, Menschen zu töten eine ganz andere. Offenbar würde Torgeir nicht zögern. Jetzt, da alle Tiere bald geopfert waren, würde er ihn auf die nächste Ebene heben, wo das Menschenopfer wartete.
    Sie trafen sich am Bahnhof in Ystad. Torgeir hatte von Kopenhagen herüber den Zug genommen, weil es vorkam, daß er beim Autofahren manchmal die Konzentration verlor. Sein Erlöser hatte sich häufig über die rationale Logik, die Urteilskraft und Klugheit gewundert, die all die Jahre in der Gosse überlebt hatten.
    Torgeir hatte gebadet, das gehörte zu dem Reinigungsprozeß, der ihren Opferritualen stets vorausging. Er hatte Torgeir erklärt, daß alles in der Bibel zu lesen war, sie war ihre Karte, ihr Fahrwasser. Es war wichtig, rein zu sein. Jesus wusch stets seine Füße. Nirgendwo war zu lesen, daß er ständig seinen ganzen Körper badete. Aber die Botschaft war dennoch vollkommen klar. Man sollte mit reinem Körper an seine Aufgabe gehen, und stets wohlriechend.
    Torgeir hielt seine kleine schwarze Tasche in der Hand. Er wußte, was darin war, er brauchte nicht zu fragen. Torgeir hatte schon seit langem bewiesen, daß er in der Lage war, Verantwortung zu übernehmen. Das einzige war diese Frau, die er zerstückelt hatte. Das hatte unnötiges Aufsehen erregt. Die

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