Vor dem Frost
Bericht über die brennende Tierhandlung stand auf der ersten Seite. Ein Polizist aus Ystad äußerte sich.
Nur ein kranker Mensch kann so
etwas tun. Ein kranker Mensch mit sadistischen Neigungen.
Erik hatte ihn gelehrt, die Ruhe zu bewahren, was er auch dachte. Doch zu wissen, daß Menschen seine Taten als Auswuchs von Sadismus betrachteten, empörte ihn. Er knüllte die Zeitung zusammen und warf sie in einen Papierkorb. Um für seine Schwäche, sich zu empören, Buße zu tun, gab er einem betrunkenen Bettler fünfzig Kronen. Der Mann sah ihm mit offenem Mund nach. Eines Tages komme ich zurück und schlage dich tot, dachte Torgeir Langaas. In Jesu Namen, im Namen der gesamten christlichen Welt werde ich dein Gesicht mit einem einzigen Hieb meiner Faust zerschmettern. Dein auf dem Boden vergossenes Blut wird zu dem roten Teppich werden, der uns zum Paradies führt.
Es war zehn Uhr. Er setzte sich in ein Cafe und frühstückte. Erik hatte gesagt, an diesem Tag sollte alles still bleiben. Er sollte sich in einem seiner Verstecke aufhalten und warten. Vielleicht hat Erik erkannt, daß ich noch immer eine Schwäche habe, dachte er. Vielleicht hat er mich durchschaut, will aber warten, ob ich die Kraft habe, mich von diesem letzten schwachen Verbindungsglied zu meinem früheren Leben zu befreien.
Aber es gab noch eine andere Verbindung, sein letztes verbliebenes Besitzstück. Er schob das Frühstückstablett zur Seite und holte die Diamantnadel aus der Tasche. Die Geschichte von der Diamantnadel war wie ein Märchen, das niemand glaubte. Niemand außer Erik. Er hatte sie angehört und gesagt, daß ›Menschen für Diamanten sterben. Sie opfern ihr Leben in Gruben, um sie zu finden. Sie morden, um unrechtmäßig das an sich zu bringen, was sie selbst nicht gefunden haben. Diamanten machen die Menschen gierig und falsch. Sie lassen sich von ihrer Schönheit betäuben, begreifen aber nicht, daß es Gottes Absicht war, dem Menschen zu zeigen, daß Härte und Schönheit zusammenhängen‹.
Er hatte die Diamantnadel von seinem Onkel Oluf Bessum bekommen, der eine merkwürdige und ganz und gar wahre Geschichte darüber erzählt hatte, wie er in ihren Besitz gelangt war. Oluf Bessum behauptete, daß er mit Dreißig aufgehört habe zu saufen, mit Fünfzig aufgehört habe, den Mädchen nachzulaufen, und mit Siebzig aufhören würde zu lügen. Als er Torgeir die Geschichte von der Diamantnadel erzählte, war er achtundvierzig. Während einiger Jahre Anfang der 1930er Jahre, als Oluf sehr jung war, hatte er auf einem Walfänger gearbeitet, dann hatte er in Kapstadt abgemustert und war nach Norden aufgebrochen, teils zu Fuß, teils mit dem Zug oder auf Pferdefuhrwerken mitfahrend, um in jenes Afrika zu gelangen, wo es keine Straßen gab, nur die Unendlichkeit. In Johannesburg war er in einer engen Straße von einem Wagen angefahren worden, der zum großen Diamantensyndikat De Beers gehörte. Es war Ernest Oppenheimers privater Wagen, und Oluf war in ein Privatkrankenhaus eingeliefert worden. Später, während seiner Genesung, hatte Oluf sich auf einem der großen Güter der Familie Oppenheimer aufgehalten. Ernest Oppenheimer hatte sich für den jungen norwegischen Walfänger interessiert und ihm eine Arbeit in seinem Unternehmen angeboten. Oluf wollte weiter auf seiner Reise zur Unendlichkeit, beschloß jedoch, für eine begrenzte Zeit zu bleiben.
An einem diesigen und nebligen Septembermorgen 1933, zwei Monate nach dem Unglück, begleitete er Ernest Oppenheimer zu einem kleinen Flugplatz in der Nähe von Johannesburg, um Ernests Neffen Michael zum Abschied zu winken, der nach Nordrhodesien fliegen sollte, um einige Gruben der Familie zu inspizieren. Die Maschine hob ab, drehte eine Runde über dem Flugplatz und wollte sich gerade auf Kurs nach Norden begeben, als sich die Katastrophe ereignete. Oluf selbst war sich nie sicher, ob es an einer plötzlichen seitlichen Windbö lag oder an einem Motordefekt. Die Maschine verlor an Geschwindigkeit und stürzte senkrecht zu Boden. Der Pilot, Major Cochrane-Patrick, und Michael waren auf der Stelle tot. Oluf war klar, daß die Trauer, die Ernest Oppenheimer erfuhr – Michael war wie sein eigener Sohn gewesen –, es nicht zuließ, daß er der Familie noch länger zur Last fiel. Ernest Oppenheimer schenkte ihm zum Abschied die Diamantnadel, und er setzte seine Reise fort. Und dann, als Oluf Bessum alt war, gab er die Nadel an Torgeir weiter. Sie hatte ihn seitdem begleitet, und Torgeir
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