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Vor dem Frost

Vor dem Frost

Titel: Vor dem Frost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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soll. Sie wird mich durchschauen, sie merkt bestimmt, daß ich sie überwache.«
    »Du mußt einfach sein wie immer.«
    »Ist es nicht besser, wenn du noch einmal mit ihr redest?«
    »Doch, aber nicht im Moment.«
    Linda verließ das Präsidium. Der Regen hatte etwas nachgelassen. Ein Wagen hupte direkt hinter ihr, so nah, daß sie erschrak. Stefan Lindman bremste und öffnete die Wagentür. »Ich fahr dich nach Hause.«
    »Danke.«
    Er hatte seine Stereoanlage an. Jazz.
    »Magst du Musik?«
    »Sehr.«
    »Jazz?«
    »Lars Gullin. Saxophonspieler. Einer von Schwedens größten Jazzmusikern überhaupt. Viel zu früh gestorben.« »Ich habe seinen Namen nie gehört. Außerdem mag ich solche Musik nicht.«
    »In meinem Wagen bestimme ich, was gespielt wird.« Er schien gekränkt zu sein.
    Linda bereute ihre Worte. Auch das habe ich von Vater geerbt, dachte sie. Das Talent, tolpatschige und unsensible Kommentare abzugeben.
    »Wohin fährst du?« fragte sie, um die Situation zu glätten.
    Er antwortete einsilbig. Immer noch gekränkt.
    »Sjöbo. Ein Schlosser.«
    »Dauert es lange?«
    »Ich weiß nicht. Wieso?«
    »Ich dachte, ich könnte vielleicht mitfahren. Wenn ich darf.«
    »Wenn du die Musik ertragen kannst.«
    »Ab sofort liebe ich Jazz.«
    Die angespannte Situation hatte sich gelöst. Stefan Lindman lachte und fuhr nach Norden. Er fuhr schnell. Linda verspürte Lust, ihn zu berühren, mit den Fingern über seine Schulter oder seine Wange zu streichen. Sie spürte eine Lust wie schon lange nicht mehr. Ein idiotischer Gedanke fuhr ihr durch den Kopf: daß sie in Sjöbo in ein Hotel gehen würden. Doch da gab es bestimmt kein Hotel. Sie versuchte den Gedanken abzuschütteln, ohne Erfolg. Der Regen sprühte gegen die Windschutzscheibe. Der Saxophonist spielte jetzt hohe, schrille und schnelle Tonfolgen. Linda versuchte eine Melodie auszumachen, aber sie fand keine.
    »Wenn du nach Sjöbo fährst, um mit einem Schlosser zu reden, muß es mit der Ermittlung zu tun haben. Einer der Ermittlungen. Wie viele laufen eigentlich?«
    »Birgitta Medberg eine, Harriet Bolson eine, die verbrannten Tiere eine, und dazu die abgebrannten Kirchen. Dein Vater will sie zusammenfassen. Und der Staatsanwalt hat zugestimmt. Bis auf weiteres.«
    »Und der Schlosser?«
    »Er heißt Hakan Holmberg. Er ist kein gewöhnlicher Schlosser, der ganz allgemein Zweitschlüssel anfertigt, sondern er macht Kopien von alten Schlüsseln. Als er hörte, daß die Polizei sich fragt, wie die abgebrannten Kirchen geöffnet worden waren, fiel ihm ein, daß er vor einigen Monaten zwei Schlüssel angefertigt hatte, die sehr wohl für Kirchentüren passen konnten. Ich will sehen, ob ihm noch mehr einfällt. Seine Werkstatt liegt im Zentrum von Sjöbo. Martinsson kennt ihn vom Hörensagen. Er hat Preise gewonnen für schöne Schlüssel, die er gemacht hat. Außerdem ist er offenbar sehr belesen und hält Sommerkurse in Philosophie ab.«
    »In der Werkstatt?«
    »Es ist anscheinend ein Hof. Martinsson hat selbst einmal überlegt mitzumachen. Die Teilnehmer müssen die Hälfte der Zeit in der Schmiede arbeiten, und die übrige Zeit diskutieren sie über philosophische Fragen.«
    »Kaum was für mich«, sagte Linda.
    »Aber vielleicht für deinen Vater?«
    »Noch weniger.«
    Die Musik hatte den Charakter gewechselt. Es war jetzt eine langsame Ballade. Linda fand plötzlich die Melodie, die ihr bisher gefehlt hatte. Sie lauschte und dachte von neuem an das Hotel, in das sie nicht gehen würden.
    Sie kamen nach Sjöbo und hielten vor einem roten Backsteinhaus, an dessen einem Giebel als Schild ein großer Eisenschlüssel hing.
    »Ich sollte vielleicht nicht mit reinkommen?«
    »Wenn ich recht verstanden habe, hast du doch schon angefangen zu arbeiten.«
    Sie gingen hinein. Ein Mann stand vor einer Esse und nickte ihnen zu. Es war heiß hier drinnen. Er nahm ein Stück glühendes Eisen aus dem Feuer und begann, es zu bearbeiten. »Ich mache nur noch diesen Schlüssel fertig«, sagte er. »Man kann die Arbeit an einem Schlüssel nicht unterbrechen. Dann entsteht eine Zwiespältigkeit im Eisen. Der Schlüssel wird in seinem Schloß nie glücklich werden.«
    Sie sahen ihm fasziniert bei der Arbeit zu. Am Ende lag der Schlüssel auf dem Amboß. Hakan Holmberg wischte sich den Schweiß von der Stirn und wusch sich die Hände. Sie gingen hinaus in einen Innenhof, wo Stühle und ein Tisch standen, darauf eine Thermoskanne und Tassen. Sie gaben sich die Hand. Linda fühlte sich

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