Vor dem Frost
Kurre genannt wird.«
»Glaubst du, ich wüßte das nicht«, sagte Martinsson. »Er mag das genausowenig wie ich, wenn die Leute mich Marta nennen.«
»Wer tut das denn?«
»Meine Frau, wenn sie sauer ist.«
Das Streitgespräch, das in einer Ecke des Raums vor sich gegangen war, endete.
Martinsson wiederholte rasch, was er schon zu Linda gesagt hatte. »Es gibt aber noch etwas«, sagte er zum Schluß. »Und das ist bestimmt das Seltsamste. Unsere dänischen Kollegen haben natürlich den Namen Ulrik Larsen einmal gründlich durch sämtliche Register gejagt. Er steht in keinem einzigen Kriminalregister. Ein Siebenunddreißigjähriger, der durch und durch anständig zu sein scheint. Verheiratet, drei Kinder, und außerdem mit einem Beruf, an den man kaum als erstes denkt, wenn es um eine Person geht, die mit dem Gesetz in Konflikt gekommen ist.«
»Welchen?« fragte Kurt Wallander.
»Er ist Pastor.«
Alle im Raum starrten Martinsson verwundert an.
»Pastor«, sagte Stefan Lindman. »Was für ein Pastor? Ich dachte, er wäre drogenabhängig?«
Martinsson überflog die Papiere in seiner Hand noch einmal. »Anscheinend hat er die Rolle des Drogenabhängigen gespielt. Aber er ist Pastor in der dänischen Staatskirche. Und zwar Gemeindepastor in Gentofte. Es hat einen Riesenwirbel in den Zeitungen gegeben, daß ein Pastor verdächtigt wurde, Räuber und Gewaltverbrecher zu sein.«
Es wurde still im Raum.
»Jetzt taucht es wieder auf«, sagte Kurt Wallander langsam. »Die Religion, die Kirche. Dieser Ulrik Larsen ist wichtig. Es muß einer rüberfahren und den Kollegen helfen. Ich will wissen, wie er in dieses unklare Muster paßt.«
»Wenn er hineinpaßt«, meinte Stefan Lindman.
Kurt Wallander beharrte auf seiner Ansicht. »Er paßt hinein. Wir müssen wissen, wie. Bittet Ann-Britt.«
Martinssons Telefon klingelte. Er hörte zu und trank dann in einem Zug seinen Kaffee aus. »Jetzt ist Norwegen aufgewacht«, sagte er. »Es ist Material über Torgeir Langaas gekommen.«
»Wir machen das hier«, sagte Wallander.
Martinsson holte die Papiere. Es war auch eine undeutliche Kopie eines Fotos dabei. »Vor über zwanzig Jahren aufgenommen«, sagte Martinsson. »Er ist groß, über einsneunzig.«
Sie beugten sich über das verschwommene Bild.
Habe ich diesen Mann schon einmal gesehen? dachte Linda. Sie war unsicher.
»Was schreiben sie?« fragte Kurt Wallander.
Linda spürte, wie ihr Vater immer ungeduldiger wurde. Genau wie ich, dachte sie. Besorgnis und Ungeduld hängen zusammen.
»Sie haben unseren Mann Langaas sofort gefunden, als sie zu suchen anfingen. Es wäre schneller gegangen, wenn nicht einer der Verantwortlichen unsere Eilanfrage verlegt hätte. Mit anderen Worten hat die Polizei in Oslo das gleiche Problem wie wir. Hier verschwinden Tonbänder mit eingegangenen Notrufen, in Oslo verschwindet unsere höfliche Anfrage. Aber schließlich ist sie also wieder aufgetaucht. Torgeir Langaas ist ein alter Fall, der nie geklärt wurde«, faßte Martinsson zusammen.
»Was hatte er getan?« unterbrach Wallander.
»Du wirst mir nicht glauben, wenn ich darauf antworte.«
»Versuch's!«
»Torgeir Langaas verschwand vor neunzehn Jahren spurlos aus Norwegen.«
Sie sahen sich an. Linda hatte das Gefühl, daß selbst der Raum den Atem anhielt. Sie sah ihren Vater an, der sich auf seinem Stuhl zusammenzog, als mache er sich zum Absprung bereit.
»Noch einer, der verschwindet«, sagte er. »Irgendwie dreht es sich bei alldem um Leute, die verschwinden.«
»Und um solche, die zurückkehren«, sagte Stefan Lindman.
»Oder wiederauferstehen«, sagte Kurt Wallander.
Martinsson las weiter, jetzt langsamer, als könnten zwischen den Worten Minen versteckt sein: Torgeir Langaas war Erbe, sogar Haupterbe eines vermögenden Reeders. Dann verschwand er plötzlich. Ein Verbrechen wurde anfänglich nicht befürchtet, weil er einen Brief an seine Mutter Maigrim Langaas hinterlassen hatte, in dem er beteuerte, nicht deprimiert zu sein und keine Selbstmordabsichten zu hegen, aber daß er weggehe, und jetzt zitierte Martinsson direkt und entschuldigte sich für sein Norwegisch, ›weil ich es nicht mehr aushalten »Weil er was nicht mehr aushielt?«
Kurt Wallander unterbrach von neuem. Linda kam es vor, als stieße er seine Ungeduld und Unruhe wie unsichtbaren Dampf durch die Nasenlöcher aus.
»Das steht hier nicht. Aber er ging weg, hatte ziemlich viel Geld, Konten hier und da. Die Eltern dachten, der kleine Aufruhr werde
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