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Vor dem Frost

Vor dem Frost

Titel: Vor dem Frost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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wo Anna war?«
    Der Schlag saß. Wie aus dem Nichts tauchten Schweißtropfen auf Henriettas Stirn auf. »Willst du behaupten, daß ich lüge? Dann möchte ich, daß du gehst. Ich will solche Menschen nicht in meinem Haus haben. Du vergiftest mich, ich kann nicht arbeiten, die Musik stirbt.«
    »Ich behaupte, daß du lügst. Und ich gehe nicht, bevor ich Antwort auf meine Fragen bekommen habe. Ich muß wissen, wo Zebra ist. Ich glaube, daß sie in Gefahr ist. Irgendwie ist Anna in die Geschichte verwickelt. Du weißt viel mehr, als du zugibst.«
    Henrietta schrie. Der Hund kam aus seinem Korb hoch und bellte. »Verlasse mein Haus. Ich weiß nichts.«
    Henrietta war aufgestanden und an ein Fenster getreten. Abwesend öffnete sie es, schloß es wieder, um es dann angelehnt zu lassen. Linda wußte nicht, wie sie weitermachen sollte, wußte nur, daß sie nicht lockerlassen durfte.
    Henrietta beruhigte sich und wandte sich um. Ihre ganze Freundlichkeit war verflogen. »Es tut mir leid, daß ich aus der Haut gefahren bin. Aber ich mag es nicht, als Lügnerin hingestellt zu werden. Ich weiß nicht, wo Zebra ist. Ich verstehe auch nicht, warum du behauptest, daß Anna etwas damit zu tun haben soll.«
    Linda sah, daß Henrietta wirklich empört war. Oder sie spielte es sehr gut. Sie sprach laut, ohne zu schreien, aber die Stimme war durchdringend. Sie hatte sich nicht wieder gesetzt, sondern war am Fenster stehengeblieben.
    »Mit wem hast du gesprochen an dem Abend, als ich in die Fuchsfalle getreten bin?«
    »Hast du mir nachspioniert?«
    »Nenne es, wie du willst. Warum wäre ich wohl sonst hiergewesen? Ich wollte wissen, warum du nicht die Wahrheit sagtest, als ich kam, um nach Anna zu fragen.«
    »Der Mann, der hier war, wollte mit mir über ein musikalisches Werk sprechen, das wir gemeinsam schaffen wollten.«
    »Nein«, entgegnete Linda und zwang sich, mit ruhiger Stimme zu sprechen. »Es war jemand anders.«
    »Du behauptest schon wieder, daß ich lüge?«
    »Ich weiß, daß du lügst.«
    »Ich sage immer die Wahrheit«, erwiderte Henrietta. »Aber manchmal antworte ich ausweichend, weil ich meine Geheimnisse bewahren will.«
    »Nenne du es ausweichend antworten, ich nenne es lügen. Ich weiß, wer hier war.«
    »Du weißt, wer hier war?« Henriettas Stimme wurde wieder schrill.
    »Entweder ein Mann namens Torgeir Langaas, oder auch Annas Vater.«
    Henrietta zuckte zusammen. »Torgeir Langaas«, schrie sie fast. »Und Annas Vater. Warum sollte einer von ihnen hiergewesen sein? Ich kenne gar keinen Torgeir Langaas. Annas Vater ist seit vierundzwanzig Jahren verschwunden. Er ist tot. Ich glaube nicht an Gespenster. Torgeir Langaas, was ist das für ein Name? Ich kenne niemanden, der so heißt, und Annas Vater ist tot, es gibt ihn nicht, sie bildet sich nur etwas ein. Anna ist in Lund, und wohin Zebra verschwunden ist, weiß ich nicht.«
    Henrietta ging in die Küche und kam mit einem Glas Wasser zurück. Sie räumte ein paar Kassetten von einem Stuhl zur Seite, der neben Lindas stand, und setzte sich. Linda drehte sich, um ihr Gesicht sehen zu können.
    Henrietta lächelte. Als sie sprach, war ihre Stimme wieder sanft, leise, beinah behutsam. »Ich wollte nicht so aufbrausen.«
    Linda sah sie an. Eine Warnglocke begann in ihr zu schrillen. Da war etwas, was sie verstehen sollte. Doch sie kam nicht darauf, was es war. Gleichzeitig wurde ihr klar, daß das Gespräch gescheitert war. Das einzige, was sie bewirkt hatte, war, daß Henrietta noch unerreichbarer geworden war. Da wären erfahrene Polizisten nötig gewesen, dachte sie und bereute, was sie getan hatte. Jetzt würde ihr Vater, oder wer immer das nächste Mal mit Henrietta sprach, noch größere Schwierigkeiten haben, ihr das, was sie nicht preisgeben wollte, zu entlocken.
    »Gibt es noch etwas, wovon du meinst, es sei eine Lüge?«
    »Ich glaube so gut wie nichts von dem, was du erzählst. Aber ich kann dich nicht dazu bringen, mit dem Lügen aufzuhören. Ich möchte nur, daß du verstehst, daß ich frage, weil ich mir Sorgen mache. Ich habe Angst, daß Zebra etwas zustoßen könnte.«
    »Und was sollte ihr zustoßen?«
    Linda beschloß, ganz offen zu sein. »Ich glaube, daß jemand – vielleicht sind es auch mehrere – Frauen umbringt, die abgetrieben haben. Zebra hat abgetrieben. Die Frau, die tot in der Kirche lag, hatte abgetrieben. Du hast wohl von ihr gehört?«
    Henrietta rührte sich nicht. Linda nahm das als Bestätigung.
    »Was hat Anna damit zu

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