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Vor dem Frost

Vor dem Frost

Titel: Vor dem Frost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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an, daß sie verwirrt war. Im stillen dankte er der Vorsehung, die ihn dazu geführt hatte, in den Jahren in Cleveland Theorie und Praxis des Krieges zu studieren. Ständig hatten Bücher über Kriegsgeschichte auf seinem Schreibtisch gelegen. Er hatte erkannt, daß es darin Lehren gab, die sich auch für einen Prediger eigneten. Er konnte im Gespräch mit seiner Tochter aus einer neutralen oder sogar defensiven Lage heraus eine Blitzoffensive führen. Jetzt war sie die Belagerte; nicht seine, sondern ihre Entscheidung würde den Ausschlag geben.
    »Ich verstehe nicht, was du meinst. Ich habe Angst.« Anna begann heftig zu weinen. Ihr Körper bebte. Er spürte einen Kloß im Hals, als er sich erinnerte, wie sie als Kind geweint und wie er sie getröstet hatte.
    Aber er drängte das Gefühl zurück und sagte ihr, sie solle aufhören zu weinen. »Wovor hast du Angst?«
    »Vor dir.«
    »Du weißt, daß ich dich liebe. Ich liebe auch Zebra. Ich bin gekommen, um den Boden dafür zu bereiten, daß die menschliche und die göttliche Liebe ineinander aufgehen.« Sie schrie erneut: »Ich verstehe nicht, was du sagst!« Bevor er etwas erwidern konnte, kam eine Antwort aus dem Keller, ein neuer Hilferuf von Zebra. Anna sprang vom Stuhl auf und rief: »Ich komme.« Doch bevor sie die Veranda verlassen konnte, hatte er sie gepackt. Sie versuchte, sich loszureißen, aber er war stark, er hatte seine Körperkräfte in den vielen Jahren in Cleveland gut trainiert. Als sie sich weigerte nachzugeben, schlug er zu, hart, mit der offenen Hand. Einmal, zweimal, und noch einmal. Sie stürzte zu Boden, als er sie zum drittenmal traf. Ihre Nase blutete. Torgeir öffnete vorsichtig die Tür. Erik gab ihm ein Zeichen, in den Keller zu gehen. Er verstand und zog sich zurück. Erik zerrte Anna hoch und zwang sie auf den Stuhl. Er strich mit den Fingerspitzen über ihre Stirn. Ihr Puls raste. Er wandte ihr den Rücken zu und fühlte seinen eigenen Puls. Leicht erhöht, doch nur für ihn selbst spürbar. Er setzte sich auf seinen Stuhl und wartete. Bald würde er ihren Verteidigungswillen gebrochen haben. Ihre letzten Schanzen waren im Begriff zu fallen. Er hatte sie umzingelt und griff von allen Seiten an. Er wartete.
    »Ich will dich nicht schlagen«, sagte er schließlich. »Ich tue nur, was ich tun muß. Wir stehen vor einem Krieg gegen die Leere. Einem Krieg, in dem es nicht immer möglich sein wird, Milde zu zeigen. Ich bin von Menschen umgeben, die bereit sind, ihr Leben zu opfern. Ich selbst muß vielleicht mein Leben opfern.«
    Sie antwortete nicht.
    »Nichts wird Zebra geschehen«, wiederholte er. »Aber nichts im Leben gibt es umsonst, alles hat seinen Preis.«
    Jetzt sah sie ihn an, mit einer Mischung aus Panik und Zorn. Das Blut unter ihrer Nase war schon geronnen. Er erklärte, was sie tun sollte. Sie starrte ihn an, mit weit aufgerissenen Augen. Er setzte sich auf einen anderen Stuhl, der neben ihr stand. Sie zuckte zusammen, als er seine Hand auf ihre legte. Aber sie zog sie nicht fort.
    »Ich verlasse dich für eine Stunde. Ich schließe die Türen nicht ab, schließe keine Fenster, lasse auch niemanden Wache stehen. Denk nach über das, was ich gesagt habe, fälle deine Entscheidung. Ich weiß, daß du tun wirst, was recht ist, wenn du Gott dein Herz und deinen Verstand lenken läßt. Vergiß nicht, daß ich dich liebe.«
    Vielleicht glaubte sie, daß die Zeit ihr einen Ausweg zeigen würde, dachte er. Doch auch das mußte sie lernen. Es gab nur eine Zeit, und die gehörte Gott. Nur Er konnte entscheiden, ob eine Minute lang oder kurz war. Dann stand er auf, strich ihr rasch mit den Fingerspitzen über die Stirn, ritzte ein unsichtbares Kreuz auf ihre Haut und verließ lautlos die Veranda.
    Torgeir wartete draußen im Flur. »Es genügte, daß sie mich sah, um zu verstummen«, sagte er. »Sie wird nicht wieder rufen.«
    Sie gingen durch den Garten zu einem großen Schuppen, in dem Fischereigerätschaften aufbewahrt wurden. Vor der Tür blieben sie stehen.
    »Ist alles klar?«
    »Alles ist klar«, antwortete Torgeir.
    Er zeigte auf vier Zelte, die neben dem Schuppen aufgebaut waren, und öffnete eins von ihnen. Erik schaute hinein. Da standen die Kisten, aufgestapelt. Er nickte. Torgeir zog die Zeltöffnung wieder zu.
    »Und die Wagen?«
    »Die Wagen, die die weitesten Strecken zu fahren haben, stehen hier draußen auf dem Weg. Die anderen sind verteilt wie besprochen.«
    Erik Westin sah auf seine Uhr. In den langen, oft

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