Vor dem Frost
kürzlich errichteter Stall stand. Der Bauer kniete bei dem toten Tier, unmittelbar neben der Jauchegrube, ein junger Mann, vielleicht so alt wie Linda. Bauern müssen alt sein, dachte sie. In meiner Vorstellungswelt gibt es keine Bauern in meinem Alter.
Kurt Wallander streckte die Hand aus und begrüßte ihn.
»Tomas Äkerblom.«
»Dies ist meine Tochter. Sie begleitet mich.«
Als Tomas Äkerblom sich ihr zuwandte, fiel das Licht vom Stall auf sein Gesicht. Linda sah, daß seine Augen glänzten. »Wer tut so etwas?« sagte er mit bebender Stimme. »Wer tut so etwas?«
Er trat zur Seite, wie um einen unsichtbaren Vorhang vor einer makabren Installation zur Seite zu ziehen. Linda hatte den Geruch verbrannten Fleischs schon wahrgenommen. Jetzt sah sie das verkohlte Tier auf der Seite vor sich liegen. Das nach oben gewandte Auge war verbrannt. Die verkohlte Haut rauchte noch. Der Benzingeruch bereitete ihr Übelkeit. Sie trat einen Schritt zurück. Kurt Wallander beobachtete sie aufmerksam. Sie schüttelte den Kopf, sie wurde nicht ohnmächtig.
Er nickte und sah sich dann um. »Was ist passiert?« fragte er.
Tomas Äkerblom berichtete. Seine Stimme war die ganze Zeit kurz davor, zu versagen.
»Ich war gerade ins Bett gegangen und eingeschlafen. Da erwachte ich von einem Heulen. Zuerst dachte ich, ich hätte selbst geschrien, das kommt manchmal vor, wenn ich träume. Ich fuhr aus dem Bett hoch. Dann merkte ich, daß es aus dem Stall kam. Die Tiere brüllten, und eins von ihnen war in Not. Ich riß die Gardine zur Seite und sah, wie es brannte. Applet brannte, obwohl ich das in dem Moment nicht sehen konnte, nur, daß es eins der Jungtiere war. Es lief direkt gegen die Stallwand, der ganze Körper und der Kopf waren in Flammen gehüllt. Ich begriff nicht, was ich da sah. Ich lief runter, zog ein Paar Stiefel an. Da lag er schon am Boden. Der Körper zuckte.
Ich riß eine Persenning an mich und versuchte, das Feuer zu löschen. Aber da war er schon tot. Es war furchtbar. Ich weiß nur noch, daß ich dachte: Das gibt es nicht. Das gibt es doch nicht. Kein Mensch zündet ein Tier an.«
Tomas Äkerblom verstummte.
»Haben Sie etwas gesehen?« fragte Kurt Wallander.
»Ich habe erzählt, was ich gesehen habe.«
»Sie sagten, ›kein Mensch zündet ein Tier an‹. Warum haben Sie das gesagt? Es könnte doch ein Unglück gewesen sein?«
»Wie sollte ein Stierkalb sich mit Benzin übergießen und anzünden? Warum? Ich habe noch nie von Tieren gehört, die Selbstmord begehen.«
»Jemand muß es also getan haben. Danach frage ich. Haben Sie jemanden gesehen, als Sie die Gardine aufrissen?«
»Ich habe nur das brennende Tier gesehen.«
»Können Sie sich vorstellen, wer es getan haben könnte?«
»Ein Wahnsinniger. Nur ein Wahnsinniger kann so etwas tun.«
Kurt Wallander nickte. »Wir kommen jetzt nicht weiter«, sagte er. »Lassen Sie das Tier liegen. Wir kommen zurück, wenn es hell geworden ist, und sehen uns um.«
Sie kehrten zu den Wagen zurück.
»Nur ein Wahnsinniger kann so etwas tun«, wiederholte Tomas Äkerblom.
Wallander antwortete nicht. Linda sah, daß er müde war, die Stirn gefurcht, er wirkte auf einmal alt. Mein Alter macht sich Sorgen, dachte sie. Zuerst vielleicht brennende Schwäne, dann ein Stierkalb, das ›Apfel‹ heißt und wirklich verbrennt.
Es war, als habe er ihren Gedanken gelesen. Mit der Hand am Türgriff wandte er sich noch einmal Tomas Äkerblom zu. »Applet«, sagte er. »Ein sonderbarer Name für ein Tier.« »Als ich jünger war, habe ich Tischtennis gespielt. Ein Teil der Jungtiere ist nach großen schwedischen Tischtennisspielern benannt. Ich habe zum Beispiel einen Ochsen, der Waldner heißt.«
Kurt Wallander nickte. Linda konnte sehen, wie er lächelte. Sie wußte, daß ihr Vater etwas für originelle Menschen übrig hatte.
Sie fuhren nach Ystad zurück.
»Was, glaubst du, kann es sein?« fragte Linda.
»Bestenfalls haben wir einen sadistischen Tierquäler am Hals. Einen Wahnsinnigen.«
»Bestenfalls?«
»Im schlimmsten Fall ist es jemand, der sich auf Dauer mit Tieren nicht zufriedengibt«, sagte er schließlich.
Linda verstand, was er meinte. Aber sie wußte auch, daß sie im Moment am besten keine weiteren Fragen stellte.
Als Linda erwachte, war sie allein in der Wohnung. Es war halb acht. Sie streckte sich und dachte daran, daß ihr Vater die Wohnungstür zugeschlagen und sie geweckt hatte. Lauter als nötig. Er versucht wohl, streng zu sein, und will nicht,
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