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Vor dem Frost

Vor dem Frost

Titel: Vor dem Frost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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gut?«
    »Er ist ein ausgezeichneter Polizist.«
    »Ich habe keine deutliche Erinnerung an einen, der Rydberg hieß. Aber an Martinsson erinnere ich mich. Ich weiß nicht, wie oft du nach Hause kamst und wütend warst über etwas, was er entweder getan oder nicht getan hatte.«
    Er resignierte über seiner Patience und sammelte die Karten zusammen. »Rydberg hat mich angelernt. Und ich in meiner Zeit habe Martinsson das weitergegeben, was er brauchte. Da ist es doch klar, daß ich ihn manchmal verflucht habe. Außerdem war er schwer von Begriff. Aber nachdem er die Dinge einmal gelernt hatte, saßen sie wie festzementiert.«
    »Das heißt mit anderen Worten, daß indirekt du mein Mentor bist.«
    Er stand vom Tisch auf. »Was ein Mentor ist, weiß ich nicht. Zieh dich jetzt an, dann fahren wir.«
    Sie sah ihn verblüfft an. Hatten sie etwas verabredet, was sie vergessen hatte?
    »Haben wir etwas verabredet?«
    »Nichts, außer daß wir rauswollten. Und das werden wir auch. Es wird ein schöner Tag. Bevor man sich versieht, legt sich der Nebel übers Dasein. Ich hasse den schonischen Nebel. Es ist, als kröche er einem in den Kopf. Ich kann nicht klar denken, wenn alles diesig und grau und wolkenverhangen ist. Aber du hast recht, wir haben ein Ziel.«
    Er setzte sich wieder an den Tisch und goß sich den letzten Rest Kaffee ein, bevor er fortfuhr.
    »Hansson? Erinnerst du dich an ihn?«
    Linda schüttelte den Kopf.
    »Er verschwand wohl, als du noch klein warst. Einer meiner Kollegen. Im letzten Jahr kam er zurück. Jetzt habe ich erfahren, daß er sein Elternhaus außerhalb von Tomelilla verkaufen will. Seine Mutter ist seit langem tot. Aber sein Vater wurde einhundertein Jahre alt. Hansson zufolge war er so klar im Kopf und so boshaft wie immer, bis zu seiner letzten Minute. Aber jetzt soll das Haus verkauft werden. Ich dachte, wir könnten es uns ansehen. Wenn Hansson nicht übertrieben hat, ist es vielleicht genau das, was ich suche.«
    Sie gingen hinunter zum Wagen und fuhren aus der Stadt hinaus. Es war windig, aber warm. Sie kamen an einer Kolonne blankgeputzter Oldtimer vorbei. Linda verblüffte ihren Vater damit, daß sie die meisten Marken kannte.
    »Wo hast du all das über Autos gelernt?«
    »Mein letzter Freund, Magnus.«
    »Ich dachte, er hätte Ludwig geheißen.«
    »Du bist nicht auf dem laufenden, Vater. Übrigens, ist Tomelilla nicht völlig falsch? Ich dachte, du wolltest auf einer Bank sitzend alt werden, einen Hund streicheln und aufs Meer schauen?«
    »Ich habe nicht das Geld, um mir ein Haus am Meer zu leisten. Ich muß mich mit dem Zweitbesten zufriedengeben.«
    »Leih dir doch was von Mama. Ihr vorzeitig pensionierter Prokurist hat doch Kohle genug.«
    »Nie im Leben.«
    »Ich kann es für dich leihen.«
    »Nie im Leben.«
    »Dann gibt es auch kein Haus am Meer.«

Linda warf einen Blick zu ihm hinüber. War er böse geworden? Sie konnte es nicht sagen. Aber ihr kam der Gedanke, daß sie das mit ihm gemeinsam hatte. Plötzlich aufflammende Gereiztheit, eine unglückliche Neigung, durch die geringste Kleinigkeit verletzt zu sein. Die Distanz zwischen ihm und mir wechselt, dachte sie. Manchmal sind wir einander sehr nahe, aber genauso oft klaffen dramatische Schluchten zwischen uns. Und dann müssen wir unsere Brücken bauen, die häufig wackelig sind, uns aber doch meistens wieder zusammenführen.
    Er zog ein gefaltetes Stück Papier aus der Jackentasche. »Die Karte«, sagte er. »Du mußt mich hinlotsen. Bald sind wir an dem Kreisverkehr, der ganz oben steht. Da biegen wir nach Kristianstad ab. Dann mußt du mir sagen, wie ich fahren soll.«
    »Ich lotse dich nach Smaland«, sagte sie und faltete das Papier auseinander. »Tingsryd hört sich doch gut an. Von da finden wir nie den Weg zurück.«
    Hanssons Elternhaus lag sehr schön auf einer kleinen Anhöhe und war von einem Waldgebiet umgeben, dahinter erstreckten sich Felder und Sumpfwiesen. Ein Milan schwebte im Aufwind über dem Haus. Auf der Rückseite lag ein alter Obstgarten. Das Gras stand hoch, die Rosen, die an den weiß verputzten, aber unansehnlich gewordenen Wänden in die Höhe kletterten, waren verwildert und zum Teil abgebrochen. Aus einiger Entfernung war das ansteigende und wieder abfallende Geräusch eines Traktors zu hören. Linda setzte sich auf eine alte Steinbank zwischen ein paar Johannisbeerbüschen, die rot leuchteten. Sie betrachtete ihren Vater, der dastand und zum Dach hinaufblinzelte, die Festigkeit der Fallrohre

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