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Vor dem Frost

Vor dem Frost

Titel: Vor dem Frost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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Hütte? Warum dieser brutale Mord? Warum ist der Körper zerstückelt und zum größten Teil verschwunden?«
    Er aß sein Butterbrot auf, strich sich ein neues und ließ es halb gegessen liegen. »Jetzt laß mich hören. Anna Westin. Deine Freundin. Was macht sie? Studiert sie? Was?«
    »Medizin. Das weißt du doch.«
    »Ich vertraue meinem Gedächtnis immer weniger. Du hast dich also mit ihr verabredet. Wolltet ihr euch hier treffen?«
    »Ja.«
    »Und sie war nicht zu Hause?«
    »Nein.«
    »Ein Mißverständnis kann nicht vorliegen?«
    »Nein.«
    »Außerdem ist sie immer pünktlich. Stimmt das?«
    »Immer.«
    »Erzähl mir noch einmal das von ihrem Vater. Er war vierundzwanzig Jahre weg. Nie von sich hören lassen? Und dann sieht sie ihn durch ein Fenster in Malmö?«
    Linda erzählte so detailliert wie möglich. Als sie endete, schwieg er eine Weile.
    »An einem Tag kommt ein verschwundener Mensch zurück. Am nächsten verschwindet ein anderer Mensch, der den Zurückgekehrten gerade entdeckt hat. Einer kommt und einer geht.«
    Er schüttelte den Kopf. Linda erzählte von dem Tagebuch und der Tube mit Salbe. Und am Schluß von ihrem Besuch bei Annas Mutter. Sie sah, daß er sehr aufmerksam zuhörte.
    »Warum glaubst du, daß sie gelogen hat?«
    »Anna hätte es mir erzählt, wenn sie wirklich häufig geglaubt hätte, ihren Vater gesehen zu haben.«
    »Wie kannst du da so sicher sein?«
    »Ich kenne sie.«
    »Menschen verändern sich. Außerdem kennt man nie etwas anderes als Teile von einem anderen Menschen.«
    »Gilt das auch für mich?«
    »Das gilt für mich, das gilt für dich, das gilt für deine Mutter, und das gilt für Anna. Außerdem gibt es Menschen, die man überhaupt nicht kennt. Mein Vater war ein glänzendes Beispiel für die personifizierte Unbegreiflichkeit.«
    »Ich kannte ihn.«
    »Du kanntest ihn nicht.«
    »Nur weil ihr euch nicht aufeinander einstellen konntet, muß das nicht auch für mich gelten. Außerdem reden wir von Anna.«
    »Ich habe gehört, daß du ihr Verschwinden noch nicht gemeldet hast.«
    »Ich habe mich nach dem gerichtet, was du gesagt hast.«
    »Ausnahmsweise.«
    »Jetzt hör auf.«
    »Zeig mir das Tagebuch.«
    Linda holte es und schlug die Seite auf, wo Anna den Brief von Birgitta Medberg erwähnt hatte.
    »Kannst du dich daran erinnern, daß sie jemals Birgitta Medbergs Namen genannt hat?«
    »Nein, nie.«
    »Hast du ihre Mutter gefragt, ob es eine Verbindung zu Birgitta Medberg gab?«
    »Ich habe das von Birgitta Medberg im Tagebuch erst nach meinem Besuch bei ihr gelesen.«
    Er stand auf, holte einen Block aus seiner Jackentasche und machte eine Notiz. »Ich werde jemanden bitten, morgen bei ihr anzurufen.«
    »Das kann ich doch tun.«
    »Nein«, entgegnete er schroff. »Das kannst du nicht. Du bist noch keine Polizistin. Ich bitte Svartman oder sonst jemand. Und du unternimmst nichts auf eigene Faust.«
    »Warum bist du so vergrätzt?«
    »Ich bin nicht vergrätzt. Ich bin müde. Ich weiß nicht, was in dieser Hütte passiert ist, außer daß es entsetzlich ist. Und ebensowenig weiß ich, ob es der Anfang von etwas war oder das Ende.«
    Er sah auf die Uhr und stand auf. »Ich muß zurück in den Wald.«
    Er blieb unentschlossen stehen. »Ich weigere mich zu glauben, daß es ein Zufall war«, sagte er. »Daß Birgitta Medberg zufällig auf eine böse Hexe in einem Pfefferkuchenhaus gestoßen ist. Ich weigere mich zu glauben, daß man einen solchen Mord begeht, weil jemand an die falsche Tür klopft. In schwedischen Wäldern leben keine Monster. Da leben nicht einmal Trolle. Sie hätte sich lieber an ihre Schmetterlinge halten sollen.«
    Er ging ins Bad und zog sich an. Linda ging ihm nach. Was hatte er da gerade gesagt? Die Tür zum Bad war angelehnt.
    »Was hast du gerade gesagt?«
    »Daß in schwedischen Wäldern keine Monster leben.«
    »Nein, danach.«
    »Mehr habe ich nicht gesagt.«
    »Danach. Nach den Monstern und den Trollen. Das von Birgitta Medberg.«
    »Sie hätte sich lieber an die Schmetterlinge halten sollen, statt alte Pilgerpfade zu suchen.«
    »Was für Schmetterlinge denn?«
    »Ann-Britt hat mit der Tochter gesprochen. Jemand mußte ihr ja die Nachricht überbringen, daß ihre Mutter tot ist. Die Tochter erzählte, ihre Mutter habe eine große Schmetterlingssammlung gehabt. Die sie vor einigen Jahren verkauft hatte, um Vanja und ihrem Kind zu helfen, eine Wohnung zu kaufen. Jetzt, wo die Mutter tot ist, hatte Vanja ein schlechtes Gewissen, weil sie

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