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Vor dem Frost

Vor dem Frost

Titel: Vor dem Frost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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glaubte. »Weiß Henrietta, warum ich mitten in der Nacht da draußen war? Was Stefan ihr erzählt hat, kann sie ja kaum klüger gemacht haben.«
    »Wir wollen nur wissen, wer eigentlich da war. Wir können sagen, daß wir einen Zeugen haben, aber wir erwähnen dich nicht.«
    Sie gingen auf die Straße hinunter und warteten. Die Flugüberwachung hatte recht gehabt. Das Wetter war schon umgeschlagen. Der Regen war trockenen Winden aus südlichen Richtungen gewichen.
    »Wann kommt der Schnee?« fragte Linda.
    Er sah sie amüsiert an. »Bestimmt nicht morgen. Wieso fragst du?«
    »Weil ich mich nicht erinnern kann. Ich habe den größten Teil meines Lebens hier in Ystad verbracht. Aber ich kann mich fast gar nicht an Schnee erinnern.«
    »Der kommt, wenn er kommt.«
    Stefan Lindman bremste vor ihnen. Sie stiegen ein, Linda setzte sich nach hinten. Kurt Wallander hatte Probleme, sich den Sicherheitsgurt anzulegen, der sich verheddert hatte.
    Sie fuhren nach Malmö. Zu ihrer Linken sah Linda das Meer schimmern. Ich will hier nicht sterben, dachte sie. Der Gedanke kam völlig überraschend, wie aus dem Nichts. Ich will nicht nur hier leben. Nicht wie Zebra werden, eine alleinstehende Mutter unter tausend anderen, deren Leben ein einziges Gehetze ist, damit das Geld reicht und die Babysitter pünktlich kommen. Und ich will auch nicht wie Vater werden, der nie das richtige Haus findet, und nie den richtigen Hund und nie die richtige Frau.
    »Was hast du gesagt?« fragte Kurt Wallander.
    »Hab ich was gesagt?«
    »Du hast vor dich hin gemurmelt. Es klang, als ob du fluchtest.«
    »Davon hab ich nichts gemerkt.«
    »Ich habe eine wunderliche Tochter«, sagte er zu Stefan Lindman. »Sie flucht, ohne es zu merken.«
    Sie bogen in den Seitenweg ein, der zu Henriettas Haus führte. Die Erinnerung an die Fuchsfalle ließ sofort die Schmerzen wiederkommen. Linda fragte, was mit dem Mann passieren würde, der die Fallen ausgebracht hatte.
    »Er wurde ziemlich blaß, als er hörte, daß eine Polizeianwärterin hineingetreten war. Ich nehme an, er bekommt eine saftige Geldstrafe.«
    »Ich habe einen guten Freund in Östersund«, sagte Stefan Lindman. »Kripo. Giuseppe Larsson.«
    »Wo kommt er her?«
    »Östersund. Aber er hatte anscheinend einen italienischen Schnulzensänger als Traumpapa.«
    »Wie soll man sich das denn vorstellen?« fragte Linda und beugte sich zwischen die beiden Vordersitze. Sie verspürte plötzlich Lust, Stefans Gesicht zu berühren.
    »Seine Mutter träumte davon, daß nicht sein Vater sein Vater wäre, sondern jemand, der im Folkpark aufgetreten war. Und der war Italiener. Nicht nur Männer haben ihre Traumfrauen.«
    »Man kann sich fragen, ob Mona ähnliche Gedanken hatte«, meinte Kurt Wallander. »Aber dann wäre es wohl ein schwarzer Papa geworden, weil sie für Hosh White schwärmte.«
    »Nicht Hosh«, sagte Stefan Lindman. »Josh.«
    Linda überlegte zerstreut, was es bedeutet hätte, einen schwarzen Vater zu haben.
    »Giuseppe hat eine alte Bärenfalle an der Wand hängen«, fuhr Stefan Lindman fort. »Sie sieht aus wie ein robustes Folterwerkzeug aus dem Mittelalter. Er sagt, wenn ein Mensch darin hängenbliebe, gingen die Eisenkrallen glatt durchs Bein. Bären oder Füchse, die darin hängenblieben, bissen sich manchmal die eigenen Beine ab, um freizukommen.«
    Sie hielten und stiegen aus. Der Wind war böig. Sie gingen zum Haus hinauf, dessen Fenster erleuchtet waren. Linda humpelte, wenn sie den linken Fuß aufsetzte. Als sie den Hof betraten, fragten alle drei fast gleichzeitig, warum der Hund nicht bellte. Stefan Lindman klopfte an die Haustür. Keiner antwortete, kein Hund reagierte. Kurt Wallander schaute durch ein Fenster, Stefan Lindman faßte an die Tür. Sie war nicht verschlossen.
    »Wir können ja immer sagen, wir glaubten, jemand hätte ›Herein‹ gesagt«, meinte er vorsichtig.
    Sie öffneten die Tür und gingen ins Haus. Linda blieb in dem engen Flur hinter den zwei breiten Rücken stehen. Sie versuchte, sich auf die Zehenspitzen zu stellen, doch da fuhr ihr sofort ein stechender Schmerz durchs Bein.
    »Ist jemand da?« rief Kurt Wallander.
    »Keiner da«, antwortete Stefan Lindman.
    Sie gingen weiter. Das Haus sah genauso aus wie bei Lindas letztem Besuch. Notenblätter, Papiere, Zeitungen, Kaffeetassen. Die Freßnäpfe des Hundes. Nach dem ersten Eindruck von Schlampigkeit und Unordnung zeichnete sich jedoch ein Haus ab, in dem alles auf Henrietta Westins Bedürfnisse abgestimmt

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