Vor dem Regen - Roman
Brüste in Stellung. »Also los, Ladys, schnappt eure Gläser. Dann gehen wir uns mal bekannt machen.«
Die Wikinger waren gar keine Wikinger, sondern eine Art Europa-Eintopf - zwei Schweizer, ein Deutscher, ein Belgier und ein Luxemburger.
Sie waren begeisterte Hobby-Vogelbeobachter und eben von einer zehntägigen Rundreise durchs Northern Territory zurückgekehrt. Offenkundig befanden sie sich im ornithologischen Rausch und orderten, wild zum Feiern entschlossen, einen Krug Bier nach dem anderen.
Eine tolle Fahrt. Heiß, ja, sehr heiß, aber toll. Sie hatten unter freiem Himmel übernachtet, Busch-Brot gegessen und über dem Feuer aufgebrühten Tee getrunken, hatten in Tümpeln gebadet, echte Aborigines getroffen, Didgeridoo gespielt, und vor allem hatten sie Vögel beobachtet. In zehn Tagen hatten sie nicht weniger als 157 Vogelarten gesehen.
Dusty hatte keinen Schimmer vom Vogelbeobachten, aber 157 schien ihr doch eine erkleckliche Gesamtsumme, und so stimmte sie freudig in die zahllosen Toasts mit ein.
Jo war es derweil gelungen, den knuddeligen Belgier in die Ecke zu drängen, und wenn Dustys Augen sie nicht täuschten - was angesichts ihres Alkoholspiegels durchaus möglich war -, dann ruhte Jos Hand bemerkenswert lendennah auf seinem Schenkel. Auch ihre Cousine dritten Grades mütterlicherseits ließ nichts anbrennen. Sie hatte den kleineren Schweizer zum Armdrücken herausgefordert. Momentan stand es eins beide, aber Dusty hatte den Verdacht, dass Fran beim zweiten Mal absichtlich verloren hatte.
Blieben also der stille Deutsche, der größere Schweizer und der Luxemburger. Der größere Schweizer war nett und hatte eine beeindruckende Opernstimme - dreimal schon hatte er »Nessun Dorma« zum Besten gegeben -, aber er trug einen Ehering. Der Luxemburger war ebenfalls nett, aber Luxemburg bereitete Dusty gewisse Bauchschmerzen - lag das neben Belgien, oder war das Liechtenstein? Was wusste sie überhaupt über Leute aus Luxemburg? Wusste irgendjemand was über Leute aus Luxemburg? Dann also der stille Deutsche. Dusty meinte zu spüren, dass ihm als Einzigem der Wikinger dieser Überfall nicht ganz behagte, dass er mit Bier und Vogeltratsch vollauf zufrieden gewesen wäre. Außerdem behandelten die anderen ihn mit einer Ehrfurcht, die darauf schließen ließ, dass er der König der Vogelbeobachter war, ein echter Über-Vogelfreund. Er war älter als seine Kumpane, Ende dreißig, und sehr groß - knapp zwei Meter, schätzte Dusty.
Dünn, aber nicht zu dünn. Kein Schwimmer - dazu fehlten ihm die Schultern, trotzdem wirkte er ausgesprochen sportlich. Skifahrer vielleicht? Handballer? So ein Eisfeger beim Curling? In Europa gab es ja Sportarten ohne Ende.
Er trug die Haare kurz wie ein Pommie und war gar nicht so blond und wikingerhaft, wie sie anfangs gemeint hatte. Er war braun gebrannt - zehn Tage den Vögeln hinterherspähen, da bekam man unvermeidlich eine satte Dosis UV-Strahlen ab - und hatte ein kräftiges, offenes Gesicht. Dusty konnte gut nachvollziehen, dass er auf manche Frauen ausgesprochen attraktiv wirken musste. Aber nicht auf sie - ihr waren Männer lieber, die kleiner und dunkler waren und einen intensiveren (Julien hätte gesagt: gemarterten) Ausdruck hatten. Männer wie James. Aber was soll’s,
hier ging es ums Milatieren, nicht um den Heiratsmarkt. Es ging nicht um den Rest ihres Lebens, es ging um eine Nacht, wenn überhaupt. Sie rückte den Stuhl näher. Dass er den ganzen Abend kaum etwas gesagt hatte, auf Englisch jedenfalls, wunderte Dusty nicht. Sie war selbst viel gereist und wusste, wie frustrierend und anstrengend es war, sich in einer fremden Sprache verständlich machen zu wollen. Sprich langsam, ermahnte sie sich. Jede Silbe einzeln.
»Wie … heißt … du?«
Der stille Deutsche lächelte und sagte dann in exakt der gleichen Manier wie Dusty: »Ich … heiße … Tomasz. Wie … heißt … du?«
»Ich … heiße … Dusty.«
Langsam sprechen. Jede Silbe einzeln.
»Und … was … ist … dein … Beruf?«
Wieder dieses Lächeln. »Ich … arbeite … beim … Staat«, sagte er und schenkte Dusty aus einem der zahllosen Krüge auf dem Tisch nach. »Und … was … ist … dein … Beruf?«
Es war eine Quälerei, aber Dusty gab nicht auf und erfuhr, dass Tomasz aus Berlin kam. Nein, Dusty war noch nie dort gewesen. Seine Eltern stammten aus Polen, daher auch der polnische Name. Nein, erklärte Dusty, das sei nicht ihr richtiger Name. Ein Spitzname. Es war seine
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