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Vor dem Sturm (German Edition)

Vor dem Sturm (German Edition)

Titel: Vor dem Sturm (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jesmyn Ward
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nachdem er zum Stehen gekommen war, und wedelten mit den Händen den Staub weg, den sie aufgewirbelt hatten. Weiter weg hörten wir einen Hund bellen.
    »Komm, Skeet«, sagte ich.
    Er blieb noch einen Moment stehen und schaute mit geneigtem Kopf und zusammengekniffenen Augen auf das Haus.
    »Ich geh jetz«, sagte ich, drehte mich um und lief zurück ins weiche Unterholz, den grünen Bereich der Bäume. Erst als ich tief in die Finsternis des Waldes eingetaucht war, hörte ich ihn so schnell rennen, um mich einzuholen, dass ich mich erschrocken umschaute, weil ich dachte, die Weißen, die in diesem Haus am Rande des schwarzen Herzens von Bois Sauvage wohnten, seien hinter uns her, aber alles, was ich sah, war Skeet, der mit ruhiger Miene auf mich zugejoggt kam. Er war nicht mal außer Atem.
    Dahin wollen wir, wie mir Skeetah erklärt, als er in mein Zimmer kommt. Er hat die Jeans, die er in Mother Lizbeths Haus anhatte, gegen ein T-Shirt in der Farbe von Kiefernnadeln und dunkelbraune Dickies-Hosen mit Löchern in beiden Knien getauscht. Er trägt keine Socken in seinen Turnschuhen.
    »Du musst dich umziehen«, sagt er. »Zieh was Grünes oder Braunes oder Schwarzes an. Nichts Weißes oder Helles.«
    »Wieso nicht?«
    »Du darfst nicht auffallen.« Skeetah geht raus, um im Flur zu warten, und ich durchwühle meine Schubladen, bis ich ein schwarzes T-Shirt und eine Paar schwarze Basketball-Shorts gefunden habe, die Randall mir geschenkt hat, weil sie ihm zu klein waren. Ursprünglich war mal das Logo der Highschool von St. Catherine darauf, was bedeutet, dass er sie geklaut hat und es eigentlich Sporthosen sind, aber jetzt sind sie so alt, dass die libellenblaue Schrift am unteren Rand, die die Hose für Skeetah inakzeptabel gemacht hätte, sich abgerieben hat und an der Stellenur noch ein verblichener grauer Schatten zu sehen ist. Ich binde mir das Haar zum Pferdeschwanz, ziehe schwarze Socken und meine Turnschuhe an und streiche mir das große T-Shirt über dem aufgeblähten Bauch glatt. Skeetah klopft zweimal an die Wand, und ich weiß, er will mir damit sagen, ich soll mich beeilen.
    »Los, komm.«
    Wir rennen nach draußen, scheuchen die Hühner vor uns auf, dass sie durch die Gegend wirbeln wie die Blütenblätter einer Königinblume, die ein Sommerregen vom Ast gefegt hat. Braun und rostfarben und weiß; das einzige Geräusch ist das Schlagen ihrer Flügel. China mischt sich ein, fängt an zu bellen.
    Ein Stück vom Pit entfernt recken sich die Kiefern himmelwärts. Ihre grün benadelten Kronen stehen vollkommen still. Ab und zu zittern sie in dem leichten Wind, der durch sie hindurchfährt. Sie scheinen zu etwas zu nicken, das ich nicht hören kann, und ich frage mich, ob es wohl das Summen von José ist, der draußen über dem Golf vor sich hin singt. Der Wind erreicht uns hier unten nicht. Hier unten ist die Luft dick und heiß. Die Bäume stehen so dicht, dass es nur wenig Unterholz gibt und die Büsche um die lichten Stellen auf dem harten, schattigen Boden kämpfen. Wie gestern sind Vögel da, aber diese sind klein und braun, so klein, dass sie in meine Handfläche passen würden, oder in den Schlund von Chinas Maul. Sie folgen uns. Während wir auf einem unsichtbaren Pfad durch den Wald laufen, fliegen die winzigen Vögel von Baum zu Baum, zwitschern einander in schneidendem Ton zu, halten mit uns Schritt. In der dicken Luft stehen die Eichen ein Stück von den Kieferngruppen entfernt: heiter und unbeweglich. Dschungelmoos hängt an ihren Ästen, grau wie der Bart eines alten Königs. Skeetah greift nach meiner Hand, und ich wäre fast zur Seite gesprungen vor Schreck, soüberrascht war ich, seine Hand an meiner zu spüren, die harten Finger, die kleinen Schwielen von Chinas Leine jetzt trocken und kratzig wie altes Brot. Er zieht, und wir rennen durch einen Korridor aus Kiefern, Eichen, Birken, Vögeln. Ich kann nicht anders. Ich lehne mich zurück und lasse mich lachend ziehen.
    Wir finden einen Rhythmus. Mein Gesicht ist heiß, die Haut spannt und die Luft, die in meine Nase strömt, fühlt sich an wie Wasser. Ich schwimme durch die Luft. Mein Körper tut das, wofür er geschaffen ist: Er bewegt sich. Skeetah kann mich nicht hinter sich lassen. Ich bin ihm ebenbürtig. Skeetah sprintet ein bisschen schneller, und als mein Arm trotzdem locker bleibt, weil ich noch an seiner Seite bin, schaut er sich zu mir um und lächelt breit. Da, Silber. Er hat eine Rasierklinge im Mund. Ist Medea so mit ihrem Bruder

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