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Vor der Flagge des Vaterlands

Vor der Flagge des Vaterlands

Titel: Vor der Flagge des Vaterlands Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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ich
    horche und spähe umher, bereit, mich in irgendeinem Win-
    kel zu verbergen, wenn sich Stimmen oder Schritte hören
    ließen.
    So komme ich bis zur Mündung des Gangs.
    Allmächtiger Gott! Hier steht niemand Wache . . . der
    Weg ist frei!
    Ohne mir zur Überlegung Zeit zu nehmen, dringe ich
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    ein in den dunklen Schlauch, denn mehr ist es nicht, und
    taste mich an seiner Wand weiter. Bald weht mir frischere
    Luft ins Gesicht, die salzgeschwängerte Luft des Meeres,
    die Luft, die mir seit 5 langen Monaten zu atmen nicht ver-
    gönnt war, die belebende Luft, die ich mit gierigen Zügen
    einsauge . . .
    Am anderen Ende des Gangs zeigt sich der mit Sternen
    übersäte Himmel. Kein Schatten verhüllt ihn, und vielleicht
    kann ich jetzt aus Back-Cup fliehen.
    Ich werfe mich auf den Leib und krieche langsam, ge-
    räuschlos vorwärts.
    Als ich mit dem Kopf über die Mündung hinaus bin,
    sehe ich mich um . . .
    Niemand . . . niemand!
    Am östlichen Fuß des Eilands und damit nach der Seite
    hinschleichend, wo die Klippen jede Landung unmöglich
    machen, erreiche ich eine enge Einbuchtung, etwa 200 Me-
    ter von der Stelle, wo eine Uferspitze sich nach Nordwesten
    hinausschiebt.
    Endlich . . . bin ich aus dieser Höhle heraus . . . zwar noch
    nicht frei, es ist aber doch der Anfang der Freiheit.
    Auf der Spitze erkenne ich die Silhouetten einzelner un-
    beweglicher Wachposten, die selbst wie kleinere Felsblöcke
    aussehen.
    Der Himmel ist klar, und die Sternbilder leuchten in
    dem starken Glanz, den ihnen die Nachtkälte des Winters
    verleiht.
    — 297 —
    Am nordwestlichen Horizont zeigen sich, gleich einer
    Funkenlinie, die Positionslichter der Kriegsschiffe.
    Nach dem Auftauchen eines fahlen weißen Scheins im
    Osten urteile ich, daß es etwa um 5 Uhr morgens sein mag.
    18. November. – Schon ist es ziemlich hell geworden, und
    ich werde meine Aufzeichnungen vervollständigen können,
    indem ich die Einzelheiten von meinem Besuch des Labors
    niederschreibe . . . vielleicht sind das die letzten Zeilen von
    meiner Hand!
    Ich beginne zu schreiben, und die Vorgänge bei dem An-
    griff werden in ihrer Aufeinanderfolge ihre Stelle in mei-
    nem Heft finden.
    Der feine und feuchte Dunst, der über dem Meer lagert,
    verschwindet bald unter der aufkommenden Morgenbrise.
    Endlich erkenne ich die gemeldeten Kriegsschiffe.
    Sie liegen, fünf an der Zahl, in einer Linie und kaum
    6 Seemeilen entfernt, also noch außerhalb der Reichweite
    von Rochs Wurfgeschossen.
    Eine Befürchtung ist also zerstreut . . . die Furcht, daß
    jene Schiffe, nachdem sie in Sicht der Bermudas-Inseln vo-
    rübergekommen wären, ihre Fahrt nach den Gewässern
    der Antillen und Mexikos fortgesetzt hätten. Nein, sie sind
    noch da . . . liegen still . . . sie warten nur den hellen Tag ab,
    um Back-Cup anzugreifen.
    In diesem Augenblick entsteht auf dem Ufer eine ge-
    wisse Bewegung. Drei oder vier der Raubgesellen tauchen
    zwischen den vordersten Felsblöcken auf. Die Wachposten
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    von der Spitze ziehen sich zurück. Die ganze Bande ist jetzt
    versammelt.
    Sie hat nicht Schutz im Innern der Höhle gesucht, wohl
    wissend, daß die Schiffe nicht nah genug herankommen
    können, um das Eiland mit ihren groben Geschossen zu er-
    reichen.
    In der Tiefe der Einbuchtung, wo ich bis an den Kopf
    versteckt bin, laufe ich keine Gefahr, entdeckt zu werden,
    und es ist auch nicht anzunehmen, daß jemand nach die-
    ser Seite hinkommt. Immerhin könnte sich noch etwas Un-
    angenehmes ereignen: wenn nämlich Ingenieur Serkö oder
    irgendein anderer sich überzeugen wollte, ob ich mich in
    meiner Zelle befände, oder wenn sie mich in diese ein-
    schließen wollten . . . Doch, mein Gott, was haben sie denn
    von mir zu befürchten?
    Um 7 Uhr 25 begeben sich Ker Karraje, Ingenieur Serkö
    und Kapitän Spade auf die Felsenspitze hinaus, von wo sie
    prüfend den nordwestlichen Horizont betrachten. Hinter
    ihnen sind die sechs Abschußrampen aufgestellt, in deren
    Rohren schon die Geschosse mit ihrem Eigenantrieb liegen.
    Nachdem sie durch die Zündmasse in Brand gesetzt sind,
    werden sie in langem Lauf hinauszischen bis zu der Zone,
    wo ihre Explosion die ganze Luftmasse der Umgebung or-
    kanartig aufwühlt.
    7 Uhr 35. Über den Kriegsschiffen steigen vereinzelt
    Rauchwolken auf, sie werden sich in Gang setzen und in die
    Schußweite der Zerstörungsmaschinen Back-Cups kom-
    men.

    — 299 —
    — 300 —
    Die Banditenhorde stößt ein entsetzliches

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