Vor Nackedeis wird gewarnt
Haus neben Colette wohnte.
Mißgeschicke in dunkler Nacht
Adele fühlte sich vom Tage ihres ersten Zusammentreffens an zu Helen Dennington hingezogen. Sie hatten eine Reihe gemeinsamer Interessen und die gleichen Ansichten, was die speziellen Probleme des weiblichen Geschlechtes betraf. Nicht selten blüht eine solche Verbindung zwischen zwei verheirateten Frauen trotz der jeweiligen Ehemänner. In diesem Falle aber teilten auch die beiden besseren Hälften, Bernie und der Pfarrer von Dymstable, einige Interessen. Es wurde langsam, zur Freude aller Beteiligten, zu einer lieben Gewohnheit, daß der Pfarrer und seine Frau am Samstagmorgen bei den Charltons hereinschauten, um einen Tee zu trinken. Während dann Adele und Helen sich Themen zuwandten, die mehr den weiblichen Sektor betrafen, diskutierten Bernie und der Pfarrer leidenschaftlich und voller Hingabe historische Fragen. Diese beiden Gesprächsgruppen störten sich dabei - gebeugt über dampfende Teetassen - ganz und gar nicht.
»So interessant auch die Chronik der Abtei sein mag«, dozierte der Pfarrer, »so vertrete ich doch eine andere Theorie, und ich würde einiges dafür geben, sie beweisen zu können. Haben Sie schon einmal an die alten Römer gedacht? Wir wissen, daß sie auch nach Canterbury kamen. Der Beweis ist ein Gehsteig, der dort ausgegraben wurde. Dennoch - in Dymstable nicht die geringste Spur. Ich kann mir kaum vorstellen, daß sie nicht hier unten an der Küste ihre Villen bauten - in Dymstable, einer ruhigen, erholsamen, angenehmen Gegend.«
»Das hört sich sehr einleuchtend an«, nickte Bernie. »Aber diese Bauten liegen jetzt wahrscheinlich unter den Fundamenten des Cambridge-Kinos und des >Kaufpreiswert<-Supermarkts.«
Richard Widderby betrat die Terrasse des Nachbarhauses. Er hielt ein Bündel Papiere in der Hand und blickte angestrengt zu der Gruppe hinüber, die sich auf der Terrasse von Haus Seeblick aufhielt. Da aber Colette nicht zu entdecken war, schenkte er sein volles Interesse einem Tümpel brakigen Wassers, direkt vor ihm. Er übte eine Rede ein und deklamierte überzeugend: »Sie alle möchten wissen, was ich von unserer heutigen Erziehung denke, und wie weit diese Erziehung im Einklang mit den Erfordernissen einer modernen fortschrittlichen Welt steht. Und dazu kann ich nur sagen...«
Adele rief hinüber: »Kommen Sie, und trinken Sie einen Tee mit uns.« Richard entledigte sich seiner Wahlpamphlete und sprang mit einem Satz über die Mauer.
»Danke«, sagte er. »Ist Colette irgendwo in der Nähe?«
»Colette«, antwortete Adele, »schnüffelt in irgendwelchen Läden in Westfield herum. Leider vergleicht sie diese Geschäfte mit einem gewissen Hochmut mit denen in Paris.«
Ihre Stimme klang bitter und enttäuscht, und Richard hob seine Brauen leicht an.
Behaglich bemerkte der Pfarrer: »Dieser Ort liegt doch mit Leichtigkeit innerhalb der Reichweite von Kampfwagen - von Canterbury aus. Ich bin überzeugt, daß die reicheren der römischen Beamten und Adligen sowohl hier wie auch dort eine Villa unterhielten. Unter den offiziellen Regierungsbeamten war der Römer mit zwei Häusern doch eine recht häufige Erscheinung.«
Leise meinte Helen Dennington: »Richard, Sie sind doch Rechtsanwalt, nicht wahr? Dürfen wir Sie etwas fragen?«
Entgegenkommend erwiderte Richard: »Aber natürlich, gerne! «
»Sie haben doch Colette kennengelernt, nicht wahr?«
Richard grinste ein wenig einfältig.
»Ja«, stotterte er und lächelte albern.
»Das gute Kind hat Adele eine Menge Ärger gemacht. So oder so. Ich möchte Sie etwas fragen, was die Gesetze angeht.«
Ohne jede weitere Einleitung ging sie dazu über, Colettes kurzen, aber bewegten Lebenslauf zu schildern, und Richard lauschte bestürzt. An einer bestimmten Stelle kreischte er laut auf.
Er sagte: »Also sie war diejenige. Sie war das Weibsstück, diese Jezabel, die vorige Woche mit jedem einzelnen unserer Kleidungsstücke abhaute. Ich habe mir geschworen, diese Person übers Knie zu legen, sobald sich die Gelegenheit dazu bietet. Als wir uns kennenlernten, habe ich sie leider nicht erkannt.«
Ein regelrechter Schock. Die Hinterlist einer heißgeliebten Person ist vor allem dann ein besonderer Schock, wenn man auf der Schwelle dazu steht, Gedichte zu verfassen. Richard mußte also seine Meinung ein wenig ändern. Irgendwie, und trotz des Durcheinanders von Gefühlen, hörte Richard doch genau und mit den Ohren eines Anwaltes Helens Worten über Colette zu, ebenso
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