Vorgetäuscht: Liebesroman (German Edition)
Attraktion, dieich vor ihm (und mir selbst) verbarg. Selbst nebeneinander auf dem Sofa zu sitzen und sich ab und an zu streifen, fühlte sich gut an. Es war wie ein Rendezvous ohne sexuellen Druck. Dieses eine Mal war ich nicht diejenige, die bestimmte, ob Sex überhaupt eine Rolle spielen sollte. Das nahm mir nicht nur Verantwortung ab, sondern auch die Kontrolle über die Situation. Je länger er mir Sachen über Sex beibrachte, desto mehr wollte ich mit ihm schlafen, und desto mehr frustrierte es mich, dass er es anscheinend nicht wollte.
Doch ich genoss – wenn auch heimlich – das eine, was keinen körperlichen Kontakt erforderte: seine Aufmerksamkeit. Mochte er doch in der Nacht
ihnen
gehören,
mich
rief er am nächsten Morgen an.
Weil ich das wusste, fühlte ich mich irgendwie anders als die anderen. Deswegen klammerte ich mich natürlich auch an die Hoffnung, dass sich die Sache zwischen uns doch noch irgendwie weiterentwickeln würde.
Eines Tages sah ich mir bei einer Monet-Ausstellung im Brooklyner Museum of Art in einer romantischen Stimmung die Gartenszenen an, während er jedes Bild mit dem Blick eines Wissenschaftlers auf eine Naturerscheinung taxierte.
»Die Impressionisten sind wirklich unheimlich bezaubernd«, sagte ich verträumt, als wir zum nächsten Bild gingen. Devin blieb wie angewurzelt stehen und sah mich an, als hätte ich den größten Unsinn geredet.
»Was? Du findest die Impressionisten
bezaubernd?
Du kannst sie nicht bezaubernd finden. Niemand findet die Impressionisten
bezaubernd
.«
Er redete hochnäsig auf mich ein, während ich dort stand, ohne die Todsünde begreifen zu können, die ich gerade begangen hatte.
»Warum denn nicht?«
»Du tust es eben nicht. Niemand findet sie
bezaubernd
. Es geht nicht.«
»Zum Teufel, wovon sprichst du überhaupt?«
»Die Impressionisten sind nicht
bezaubernd
«, meinte er. »Tiere, die herumhüpfen, sind vielleicht bezaubernd. Flauschige Häschen auf Wiesen oder kleine Hunde mit gestrickten Pullovern. Diese kleinen Mützen von Neugeborenen. Babys sind bezaubernd. Die Impressionisten nicht.«
»Aber wa…?«
»Man findet Männer, die sich das Ohr abschneiden, nicht bezaubernd. Und Männer, die bleihaltige Farben essen, auch nicht. Männer, die sich geweigert haben, mit ihrer Arbeit Kompromisse einzugehen, selbst wenn das bedeutete, dass ihre Familien deswegen nichts zu essen hatten. Männer, die sich Mätressen hielten. Die allein, bitter und verarmt gestorben sind. Hier in diesen Bildern passiert etwas Größeres, etwas jenseits von Bezauberung.«
»Findest du sie denn nicht schön?«, fragte ich ihn.
»Nein, jedenfalls nicht so wie
du
.« Seine Worte klangen scharf und anklagend. »Du siehst nur die hübschen Dinge: Lilien und bunte Farben und Strudel. Monet war dunkel und ernst.«
Ich hörte ihm zu, unschlüssig, ob ich beleidigt oder fasziniert sein sollte.
Er fuhr fort: »Die Impressionisten haben alle Regeln gebrochen, damals malte man nicht wie sie. Aber sie taten, was sie tun wollten. Sie haben sich selbst in den Pigmenten auf die Leinwände ergossen. Es braucht sehr viel Kraft, so zu malen. Sie wollen nichts kontrollieren; sie sind
Vorreiter
.«
Devin nahm mich plötzlich am Handgelenk, zerrte mich an einer Wand von Meisterwerken entlang und blieb vor einem Spätwerk von Monet stehen. »Sieh dir dies hier an«, befahl ermir und begann, systematisch die Farben des Bildes, das Licht, die Beschaffenheit und den Aufbau aufzuschlüsseln. »Es ist dunkel und intensiv – es eignet sich absolut nicht für eine Grußkarte.«
Ich staunte und war sowohl von dem Gemälde als auch von seiner Analyse beeindruckt. Tatsächlich hatte ich Monet – oder Devin – noch nie in diesem Licht gesehen. Er stand jetzt sprachlos vor dem Gemälde und war immer noch vollkommen in seinen Bann gezogen. Ich sah ihn aus dem Augenwinkel an: Für einen Moment erschien er mir wehmütig. Ich dachte daran, wie ihn sein Vater entmutigt hatte, seine künstlerischen Interessen zu verfolgen. Das Ganze war eine wortreiche Tirade gewesen, eine Explosion unterdrückten Verlangens. In dem Moment fühlte ich mich so, als könnte ich seine Gedanken lesen, und ich musste dem Drang widerstehen, meine Hand in seine zu legen.
»Kalender mit Kätzchen, die von Ästen baumeln, unter denen steht:
Halt dich gut fest, Kleines
, die sind vielleicht bezaubernd«, murmelte er nach einer Weile. Wir sahen uns an und fingen an zu kichern. Dann gingen wir zum nächsten
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