Vorhofflimmern
Blut! Wahrscheinlich musst du...“
„Das ist nicht meines“, unterbrach ich ihn barsch. „Zumindest
nicht alles. Glaube ich. Egal, ich will nach Hause, verstehst du? Einfach nur
nach Hause.“
Meine letzten Worte gingen beinahe in ein Flüstern über. Desiderio
war absolut nicht mit meiner Entscheidung einverstanden, doch er akzeptierte
meinen Wunsch. „Aber nur, wenn ich dich heim bringen darf.“
Ich nickte matt und humpelte in Richtung Hauptstraße. Auf dem
Weg fand ich meine kaputte Handtasche und meine Schuhe. Beides hob Desiderio
auf und trug es für mich.
Wir sprachen die dreihundert Meter bis zu meiner Wohnung kein
Wort miteinander.
Die ganze Zeit über fühlte ich mich,
wie in einem seltsamen Traum. Dieses Erlebnis war einfach zu schrecklich, um
wahr zu sein. Ich sah alles wie durch einen dichten Schleier, setzte nur
automatisch einen Fuß vor den anderen und hoffte, dass ich bald aufwachen
würde.
An meiner Wohnungstür angekommen wollte ich Desiderio
abwimmeln. Er brachte mich mit nur einem Blick zum Schweigen und ich wusste,
dass ich ihn niemals dazu bringen würde, mich jetzt alleine zu lassen. Kraftlos
ließ ich ihn gewähren.
„Ich geh duschen“, murmelte ich und ließ ihn alleine im Flur
stehen.
„Aber sperr nicht ab“, forderte er.
Ich starrte ihn an.
„Bitte sperr nicht ab, damit ich zu dir kann, wenn es nötig
sein sollte“, erklärte er ruhig.
Ohne darauf zu antworten verschwand ich im Bad. Drinnen
verharrte meine Hand kurz über dem Schlüssel. Ich drehte ihn nicht um.
Mechanisch schälte ich mich aus meinem zerrissenen Kleid und
stopfte es umgehend in den Mülleimer. Wirklich eine Schande. Meine Unterwäsche
warf ich auch gleich noch weg, obwohl dem Stoff auf den ersten Blick nichts zu
fehlen schien. Trotzdem. Meinen Schmuck und den Haarreif legte ich fein säuberlich
neben das Waschbecken. Dann sah ich in den Spiegel.
Ein blutverschmiertes Gesicht mit glasigen Augen blickte mir
ausdruckslos entgegen.
Ich erkannte mich selbst nicht wieder. Das Mädchen mit der
verkrusteten Blutmaske und den leeren Augen musste ein Geist sein, denn niemand
konnte so schrecklich aussehen und gleichzeitig noch am Leben sein.
Eine rote Flüssigkeit tropfte in das Waschbecken. Durch den
trüben Schleier meines Blickes hindurch erkannte ich, dass ich am rechten
Unterarm eine lange Schnittwunde hatte, die leicht vor sich hin blutete.
Fachlich überprüfte ich die Verletzung, als wäre es nicht meine eigene. Der
Schnitt war glatt und relativ oberflächlich, also musste er nicht unbedingt
genäht werden. Ich spülte die Wunde mit Wasser und wickelte ein wenig
unbeholfen mit der linken Hand einen provisorischen Verband darum.
Dann stieg ich endlich unter die Dusche und befreite mein
Gesicht vom Blut meines Peinigers. Während ich mich sorgfältig einseifte und
schrubbte, war mein Kopf die ganze Zeit über völlig leer. Mein einziges Ziel
war sauber zu werden. Ich musste den ganzen Schmutz loswerden. Alle Spuren, die
Schlangentattoo auf meinem Körper hinterlassen haben könnte, mussten beseitigt
werden. Ohne Rücksicht auf meine Verletzungen bearbeitete ich meine Haut mit
einem Peelingschwamm, um auch jedes noch so kleine Schmutzkörnchen zu
vernichten.
Erst als das Brennen meiner Abschürfungen zu meinem
abgeschalteten Hirn durchdrang, stellte ich das Wasser ab und stieg aus der
Dusche. Tropfnass stellte ich mich vor den Spiegel und überprüfte, ob der Geist
darin mittlerweile verschwunden war.
Das war er. Das Gesicht, das ich jetzt anstarrte gehörte
eindeutig mir.
Mit einem Kosmetiktuch entfernte ich ruhig die letzten
Überreste meiner Wimperntusche. Danach stand ich einfach nur vorm Spiegel und
betrachtete meine geschwollene Wange.
Allmählich verschwand das dumpfe Gefühl aus meinen Gliedern
und ich nahm erstmals das volle Ausmaß meiner Verletzung wahr. Zu der
Schnittverletzung und der Prellung im Gesicht, gesellten sich nach und nach ein
schmerzender Hals vom Würgegriff und diverse Schürfwunden an beiden Beinen.
Gleichzeitig mit den Schmerzen, trat auch die Erinnerung ein.
Das höhnische Lachen meines Angreifers, der stinkende Atem,
die Beule in seiner Hose. Das Gefühl von absoluter Hilflosigkeit, als er über
mir lag...
Ein gewaltiger Ekel überkam mich und ich musste würgen.
Schnell stürzte ich mich zur Kloschüssel, kniete mich davor hin und übergab
mich. Als sich mein Magen wieder einigermaßen beruhigt hatte, sackte ich
kraftlos zusammen und begann zu weinen.
Wie
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