Vorkosigan 02 03 Cordelia's Ehre
der jüngeren Schwester von Arals schon lange verstorbener Mutter. Graf Vorpatril war Arals erster naher Verwandter, den Cordelia außer Graf Piotr bisher getroffen hatte. Es war nicht, dass Arals Verwandte ihr auswichen, wie sie befürchtet haben mochte: Er hatte einfach nur wenige. Er und Vorpatril waren die einzigen überlebenden Nachkommen der vorausgegangenen Generation, deren letzter lebender Vertreter Graf Piotr selbst war. Vorpatril war ein großer, fröhlicher Mann, etwa fünfunddreißig, wohl proportioniert in seiner grünen Uniform. Er war auch, das entdeckte sie bald, einer von ihres Mannes jüngeren Offizieren gewesen, in der Anfangszeit seines Dienstes als Kapitän, vor Vorkosigans militärischen Erfolgen der Komarr-Kampagne und ihren verheerenden politischen Nachwirkungen.
Sie saß mit Vorpatril auf der einen und Droushnakovi auf der anderen Seite auf einer Galerie, die einen Überblick über den Ratssaal gewährte. Der Saal war ein überraschend schlichter Raum, allerdings ganz mit Holz getäfelt, was für Cordelias betanische Augen immer noch als unglaublicher Luxus erschien. Hölzerne Bänke und Tische säumten den Raum.
Morgenlicht strömte durch bunte Glasfenster hoch in der Ostwand. Drunten wurden die farbenprächtigen Zeremonien mit großer Förmlichkeit abgewickelt.
Die Minister trugen archaisch wirkende Roben in Schwarz und Purpur, von denen sich die goldenen Amtsketten abhoben.
Sie waren allerdings in der Minderheit gegenüber den nahezu sechzig Bezirksgrafen, die in Scharlach und Silber noch
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prächtiger aussahen. Einige Männer, die jung genug waren, um noch im aktiven Militärdienst zu stehen, trugen die rotblaue Paradeuniform. Vorkosigan hatte Recht gehabt, als er die Paradeuniform als übertrieben prunkvoll bezeichnete, dachte Cordelia, aber in dem wundervollen Rahmen dieses altehrwürdigen Raumes erschien dieser Prunk durchaus am Platz. Vorkosigan schaute sehr gut aus in diesem Kreis.
Prinz Gregor und seine Mutter saßen auf einem Podium auf einer Seite des Saales. Die Prinzessin trug ein schwarzes, silbern verziertes hochgeschlossenes Kleid mit langen Ärmeln.
Ihr dunkelhaariger Sohn sah in seiner rotblauen Uniform eher wie ein Elf aus. Cordelia dachte, dass er sich angesichts der ganzen Umstände bemerkenswert ruhig hielt.
Auch der Kaiser war auf gespenstische Weise anwesend, durch eine direkte Konferenzschaltung aus der Kaiserlichen Residenz. In dem Holovid wurde Ezar im Sitzen gezeigt, in voller Uniform. Cordelia wollte sich nicht ausmalen, welche physischen Strapazen dies für ihn bedeutete; die Schläuche und Monitorkabel, die an seinem Körper hingen, wurden wenigstens vor der Vidapparatur verborgen. Sein Gesicht war weiß wie Papier, seine Haut fast durchscheinend, als ob er buchstäblich von der Bühne verschwinden würde, die er so lange beherrscht hatte.
Die Galerie war überfüllt mit Ehefrauen, Stabspersonal und Wachen. Die Frauen war elegant gekleidet und mit Juwelen geschmückt, und Cordelia musterte sie interessiert, dann richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder darauf, einige Informationen aus Vorpatril herauszuholen.
»Hat dich Arals Ernennung zum Regenten überrascht?«, fragte sie.
»Nicht übermäßig. Ein paar Leute nahmen diese Geschichte von Rücktritt und Rückzug ins Privatleben nach dem
Schlamassel von Escobar ernst, aber ich nie.«
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»Er hat es ernst gemeint, dachte ich.«
»Oh, daran zweifle ich nicht. Der Erste, den Aral mit diesem Getue vom prosaisch steinernen Soldaten zum Narren hält, ist er selber. Ich denke, das ist die Art von Mann, der er schon immer gern sein wollte. Wie sein Vater.«
»Hm. Nun ja, ich hatte bei ihm einen gewissen Hang zum Politisieren in der Konversation bemerkt. Auch mitten in den außerordentlichsten Umständen. Zum Beispiel bei Heiratsanträgen.«
Vorpatril lachte. »Das kann ich mir gut vorstellen. Als er jung war, war er ein echter Konservativer – wenn man wissen wollte, was Aral über irgendeine Sache dachte, dann musste man nur Graf Piotr fragen und dessen Antwort mit zwei multiplizieren. Aber zu der Zeit, als wir zusammen dienten, da wurde er… hm … komisch. Wenn man ihn in Fahrt brachte …« In seinen Augen war ein gewisses schelmisches Funkeln, das Cordelia sofort ermunterte.
»Wie brachtest du ihn in Fahrt? Ich dachte, politische Diskussionen waren für Offiziere verboten.«
Er schnaubte verächtlich: »Ich glaube, man hätte das Atmen mit etwa der gleichen Erfolgschance verbieten können.
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