Vorkosigan 13 Komarr
wackelig aus. »Wenn du mit deinem Sabotageversuch fertig bist, würde ich mich gern wieder hinsetzen.«
»Ja, natürlich. Es war sowieso eine dumme Idee.«
Die Professora sank dankbar auf den einzigen Sitz in der winzigen Toilette, und Ekaterin lehnte sich jetzt ihrerseits an die Wand. »Es tut mir so Leid, dass ich dich in diese Sache verwickelt habe. Wenn du nicht bei mir gewesen wärest… Einer von uns muss davonkommen.«
»Wenn du eine Chance siehst, Ekaterin, dann ergreife sie. Warte nicht auf mich.«
»Damit würde Soudha immer noch eine Geisel haben.«
»Ich glaube nicht, dass das im Augenblick das Wichtigste ist. Nicht, wenn die Komarraner die Wahrheit gesagt haben über die Funktionsweise des großen, hässlichen Dings dort draußen.«
Ekaterin fuhr mit der Zehe über den glatten grauen
Boden der Toilette. »Meinst du, unsere Seite würde uns opfern, wenn es zu einem Patt käme?«
»Dafür? Ja«, sagte die Professora. »Oder zumindest…
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sollten sie es tun. Wissen der Professor und Lord Auditor Vorkosigan und der KBS, was die Komarraner gebaut
haben?«
»Nein, gestern noch nicht. Das heißt, sie wussten, dass Soudha etwas gebaut hatte – so weit ich weiß, war es ihnen fast gelungen, die Pläne zu rekonstruieren.«
»Dann werden sie es erfahren«, stellte die Professora mit Bestimmtheit fest. Und etwas wenig bestimmter:
»Schließlich…«
»Ich hoffe, sie meinen nicht, wir sollten uns selbst opfern, wie in der Tragödie der Jungfrau vom See.«
»Eigentlich wurde sie von ihrem Bruder geopfert, wie die Tradition erzählt«, sagte die Professora. »Ich frage mich, ob sie es wirklich so freiwillig getan hat, wie er später behauptete.«
Ekaterin dachte nüchtern über die alte barrayaranische Sage nach. Der Geschichte zufolge war der Ort Vorkosigan Surleau am Langen See von den Streitkräften von
Hazelbright belagert worden. Loyale Vasallen des
abwesenden Grafen, ein Vor-Offizier und seine Schwester, hatten bis zuletzt durchgehalten. Kurz vor der endgültigen Erstürmung bot die Jungfrau vom See ihren blassen Hals dem Schwert ihres Bruders dar, um nicht den Misshandlungen der feindlichen Soldaten zum Opfer zu fallen. Am nächsten Morgen wurde die Belagerung durch eine List ihres Verlobten aufgehoben – übrigens eines entfernten Vorfahren des Auditors Vorkosigan, des später berühmten Generals Graf Selig aus gleichem Hause –, der den Feind veranlasste, in Eile abzumarschieren, um einem gerüchte515
weise bevorstehenden weiteren Angriff zu begegnen. Aber es war natürlich zu spät für die Jungfrau vom See. Für den nachfolgenden Kummer der beiden Männer wurde auf
Barrayar viel historische Sympathie in Form von Schauspielen, Gedichten und Liedern aufgewendet; in ihrer Kindheit hatte Ekaterin eines der kürzeren Gedichte für eine Rezitation in der Schule auswendig gelernt. »Ich habe mich immer gefragt«, sagte sie, »ob man dann, wenn der Angriff wirklich am nächsten Tag stattgefunden hätte und all die Plündereien und Vergewaltigungen planmäßig vonstatten gegangen wären, gesagt hätte: ›Oh, dann ist ja alles in Ordnung’?«
»Wahrscheinlich«, erwiderte Tante Vorthys, und ihre Lippen zuckten.
Nach einer Weile bemerkte Ekaterin: »Ich möchte nach Hause reisen. Aber ich möchte nicht ins Alte Barrayar zurückkehren.«
»Ich genauso wenig, meine Liebe. Es ist wunderbar und dramatisch, darüber zu lesen. Es ist so hübsch, wenn man in der Lage ist zu lesen, nicht wahr?«
»Ich kenne Mädchen, die danach schmachten. Sie lieben es, alte Kostüme anzuziehen und so zu tun, als wären sie Vor-Ladys aus der alten Zeit, die von romantischen Vor-Jünglingen aus bedrohlichen Situationen gerettet werden.
Aus irgendeinem Grund spielen sie nie Tod im Kindbett oder Kindstötung oder Wie man sich die Eingeweide auskotzt, weil man die Ruhr hat oder Wie man webt, bis man von Farbvergiftung blind und von der Arthritis verkrüppelt wird. Nun ja, manchmal sterben sie romantisch an Krankheiten, aber irgendwie ist das dann immer eine 516
Krankheit, die einen auf interessante Weise blass macht und alle trauern lässt und einen nicht die Kontrolle über die Darmfunktionen verlieren lässt.«
»Ich lehre seit dreißig Jahren Geschichte. Man kann nicht alle erreichen, so sehr wir uns auch bemühen. Schick sie nächstes Mal in meine Klasse.«
Ekaterin lächelte grimmig. »Das würde ich gerne tun.«
Einige Zeit herrschte Schweigen, während Ekaterin auf die gegenüberliegende Wand starrte
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