Vorkosigan 13 Komarr
188
entwaffnend an. »Die Bibliothek eines Menschen vermittelt Informationen über die Gestalt seines Geistes, so wie seine Kleidung Informationen über die Gestalt seines Körpers vermittelt. Die Querverbindungen zwischen
anscheinend nicht verwandten Themen existieren vielleicht nur in seinen Gedanken. Wenn ihr Besitzer verschwunden ist, nimmt eine Bibliothek eine traurige Zusammenhanglosigkeit an. Ich glaube, ich hätte Ihren Gatten gerne einmal kennen gelernt, als er noch lebte. Vielleicht kann ich es ein wenig auf diese geisterhafte Weise tun.«
»Ich verstehe nicht, warum…« Sie presste erschrocken die Lippen aufeinander.
»Wir können es einrichten, dass Ihnen die Bibliothek in ein, zwei Tagen wieder zurückgebracht wird«, sagte
Tuomonen besänftigend. »Gibt es etwas davon, das Sie auf der Stelle brauchen?«
»Nein, aber… oh … ich weiß nicht. Nehmen Sie sie mit.
Nehmen Sie alles, was Sie wollen. Mir ist es egal.« Jetzt traten ihr die Tränen aus den Augen. Wachtmeisterin Rigby holte ein Papiertaschentuch aus einer ihrer vielen Uniformtaschen und reichte es ihr. Dann blickte sie die Barrayaraner finster an.
Tien rutschte verlegen auf seinem Platz hin und her.
Tuomonen blieb kühl professionell. Der KBS-Hauptmann nahm Madame Radovas’ Ausbruch als sein Stichwort,
erhob sich und trug seine Tasche zu der KomKonsole
neben der Essecke, öffnete sie und schloss eine Standard-Blackbox des KBS an dem Gerät an. Auf ein Zeichen von Vorthys hin machten sich Rigby und Miles daran, ihm beim Abnehmen des Bibliotheksschranks von der Wand
189
und bei der Versiegelung für den Transport zu helfen.
Nachdem Tuomonen die KomKonsole ausgesaugt hatte,
ließ er einen Scanner über die Bibliothek laufen, die nach Miles’ Schätzung nahezu tausend Disketten enthielt, und erzeugte eine Vid-Quittung für Madame Radovas. Sie
stopfte die Plastikfolie in die Tasche ihrer grauen Hose, ohne einen Blick darauf zu werfen, und stand mit
verschränkten Armen da, bis die Eindringlinge sich
anschickten zu gehen.
Im letzten Augenblick biss sie sich auf die Lippen und platzte heraus: »Administrator Vorsoisson. Es wird nicht…
werde ich… wird es aufgrund von Bartos Tod eine normale Hinterbliebenenrente geben?«
War sie in einer finanziellen Notlage? Nach Tuomonens Unterlagen waren ihre beiden jüngsten Kinder noch an der Universität und finanziell von ihren Eltern abhängig; natürlich hatte sie jetzt Geldsorgen. Aber Vorsoisson schüttelte traurig den Kopf.
»Ich fürchte nicht. Madame Radovas. Der Gerichtsmediziner scheint sich ganz sicher zu sein, dass sein Tod erst nach seiner Kündigung stattfand.«
Wäre es andersherum gewesen, dann wäre es ein viel interessanteres Problem für den KBS. »Dann bekommt sie nichts?«, fragte Miles. »Ohne eigene Schuld wird sie aller normalen Witwenbeihilfen beraubt, nur weil ihr«, er schluckte einige abfällige Adjektive hinunter, »verstorbener Ehemann unzuverlässig war?«
Vorsoisson zuckte hilflos die Achseln und wandte sich ab.
190
»Warten Sie«, sagte Miles. Bis jetzt war er an diesem Tag für kaum jemanden von Nutzen gewesen. »Gregor
billigt es nicht, dass Witwen mittellos zurückgelassen werden. Vertrauen Sie mir in diesem Punkt. Vorsoisson, los, setzen Sie die Beihilfe für sie auf jeden Fall durch.«
»Ich kann nicht – wie – wollen Sie, dass ich das Datum seiner Kündigung abändere?«
Und dass so das rechtliche Kuriosum eines Mannes entsteht, der am Tag nach seinem eigenen Tod kündigt?
Auf welche Weise – durch Geisterschreiben? »Natürlich nicht. Machen Sie es einfach zu einem kaiserlichen
Befehl.«
»Auf den Formularen gibt es keine Rubrik für einen
kaiserlichen Befehl«, sagte Vorsoisson verwirrt.
Miles ließ diese Antwort auf sich wirken. Tuomonen
beobachtete ihn mit leicht gerötetem Gesicht und fasziniert geweiteten Augen. Selbst Madame Radovas zog die
Augenbrauen verdutzt zusammen. Sie schaute Miles direkt an. als sähe sie ihn zum ersten Mal. Schließlich sagte er sanft: »Ein Fehler beim Formularentwurf, den Sie werden korrigieren müssen, Administrator Vorsoisson.«
Tien öffnete den Mund, um einen weiteren Protest zu erheben, doch dann klappte er ihn intelligenterweise wieder zu. Professor Vorthys wirkte erleichtert. Madame Radovas presste ihre Hand staunend an ihre Wange und sagte:
»Danke… Lord Vorkosigan.«
Nach dem üblichen Abschied mit der Floskel »Falls
Ihnen noch etwas einfällt, rufen Sie bitte diese Nummer an«,
Weitere Kostenlose Bücher