Vorkosigan 13 Komarr
Luft. »Aber das sollst du wissen. Was immer du tust oder nicht tust, solltest du von jetzt an lieber für dich selbst tun. Weil es mich nicht mehr berühren wird.« Einmal getan, für alle Zeit getan. Sie würde das nie wieder durchmachen.
»Ich kann – ich kann es in Ordnung bringen.«
Bezog er sich damit auf die Skellytum, ihre Ehe, seine Gaunereien? In allen drei Fällen hatte er jedenfalls Unrecht.
Als sie immer noch nicht antwortete, platzte er verzweifelt heraus: »Nikolai gehört mir, nach barrayaranischem Recht!«
Interessant. Nikki war die einzige Taktik, die er nie zuvor eingesetzt hatte. Sie war tabu. Jetzt wusste sie, dass er wusste, wie todernst es ihr war. Gut. Er schaute sich um und fragte erst jetzt: »Wo ist Nikki?«
»An einem sichereren Ort.«
»Du kannst ihn nicht von mir fern halten!«
Das kann ich schon, wenn du im Gefängnis sitzt. Sie machte sich nicht die Mühe, es laut zu sagen. Unter den obwaltenden Umständen würde Tien wahrscheinlich ihr Sorgerecht für Nikki nicht vor dem Gesetz anfechten. Doch sie wollte Nikolais Wohlergehen so weit wie möglich vom hässlichsten Teil dieser Geschichte entfernt halten. Sie würde diesen Krieg nicht beginnen, aber wenn Tien es wagen sollte, dann würde sie ihn zu Ende kämpfen. Sie beobachtete ihn, noch kühler als zuvor.
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»Ich werde es in Ordnung bringen. Ich habe einen Plan.
Ich habe den ganzen Tag darüber nachgedacht.«
Tien mit einem Plan – das war etwa so beruhigend wie ein Zweijähriger mit einem geladenen Plasmabogen. Nein.
Du wirst nicht mehr für ihn die Verantwortung über
nehmen. Darum dreht sich doch alles, erinnerst du dich nicht? Lass los. »Tu, was immer du tun willst, Tien. Ich werde jetzt meine restlichen Sachen packen.«
»Warte …« Er drehte sich zu ihr herum. Es beunruhigte sie, ihn zwischen sich und der Tür zu haben, aber sie zeigte ihre Angst nicht. »Warte. Ich werde es wettmachen. Du wirst sehen. Ich werde es in Ordnung bringen. Warte hier!«
Er winkte nervös, ging zur Wohnungstür und war
draußen.
Sie lauschte seinen sich entfernenden Schritten. Erst als sie das schwache Wispern des Liftrohres hörte, trat sie auf den Balkon und schaute hinunter. Tief unten bildeten die zerschmetterten Überreste ihrer Skellytum einen unregelmäßigen feuchten Fleck auf dem Pflaster. Die zerrissenen scharlachroten Ranken sahen aus wie verspritztes Blut. Ein Passant blickte neugierig darauf. Eine Minute später sah sie Tien aus dem Gebäude kommen und durch den Park in
Richtung der Bubblecar-Plattform gehen. Von Zeit zu Zeit fiel er fast in Laufschritt. Zweimal schaute er über die Schulter in Richtung des Balkons zurück. Sie trat zurück in den Schatten. Er verschwand in der Station.
Jeder Muskel ihres Körpers schien vor Spannung zu
zucken. Ihr war, als müsste sie sich gleich übergeben. Sie kehrte zu ihrer – zur Küche zurück und trank ein Glas 245
Wasser. Es half, ihren Atem und ihren Magen zu
beruhigen. Dann ging sie in ihr Zimmer und holte einen Korb, ein Plastiktuch und einen Hohlspatel, um den
Schlamassel drunten auf dem Gehweg aufzukratzen.
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10
Miles saß an Administrator Vorsoissons KomKonsolen-Pult und las systematisch die Dateien aller Angestellter der Abteilung Abwärmeverwertung
durch. Verglichen mit einigen der anderen Abteilungen schien es da eine Menge Personal zu geben; die Abwärme war ein ausgesprochenes Lieblingskind im Projektbudget.
Vermutlich verbrachten die meisten den größten Teil ihrer Zeit draußen auf der Versuchsstation, da die Büros der Abteilung Abwärme nur bescheiden waren. Im Rückblick, der immer schärfer war, wünschte sich Miles, er hätte seine Erkundung von Radovas’ Leben schon tagsüber dort
draußen begonnen, wo es vielleicht einiges an Aktion zu beobachten gegeben hätte, anstatt hier in diesem Turm bürokratischer Langeweile. Noch mehr wünschte er sich, er hätte schon bei ihrer ersten Besichtigungstour einmal auf der Versuchsstation vorbeigeschaut… nun ja, nein. Damals hätte er ja noch gar nicht gewusst, wonach er hätte schauen sollen.
Und jetzt weißt du es? Er schüttelte den Kopf und rief eine weitere Datei auf. Tuomonen hatte sich eine Kopie der Personalliste mitgenommen und würde zu gegebener Zeit die meisten dieser Leute vernehmen, sofern sich nichts anderes ereignete, was die Ermittlungen in eine andere Richtung lenkte. Wie zum Beispiel, wenn man Marie
Trogir fände – das stand jetzt auf Miles’ Wunschliste für den KBS ganz oben.
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