Vorkosigan 13 Komarr
an das Geländer, doch der Alarmknopf war eingesenkt, um zu verhindern, dass er durch einen zufälligen Stoß ausgelöst wurde. Miles fluchte leise unter seiner
Sauerstoffmaske. Die Maske schien am Gesicht dicht zu sitzen; er spürte auch, dass die Sauerstoffflasche unter seiner Jacke noch fest an die Brust gegurtet war – wer hatte eigentlich die Jacke bis zu seinem Kinn hochgezogen? –, aber er würde außerordentlich vorsichtig sein müssen, um nicht die Maske zu verschieben, bis er die Hände freihätte, um sie wieder zurechtzurücken.
Wie nun …? Hatte der Betäuberstrahl einen Anfall ausgelöst, während er bewusstlos war, oder trieb er erst noch auf einen zu? Der nächste war allmählich fällig. Er hörte 259
abrupt auf zu fluchen und tat ein paar tiefe, beruhigende Atemzüge, die seinen Körper nicht im Geringsten täuschen konnten.
Ein paar Meter zu seiner Rechten entdeckte er Tien
Vorsoisson, der auf ähnliche Weise zwischen zwei aufrechten Pfosten angekettet war. Sein Kopf hing nach vorn; offensichtlich war er noch nicht wach. Miles versuchte den Knoten stressigen Schreckens in seinem Sonnengeflecht zu überzeugen, dass dieses bisschen kosmischer Gerechtigkeit wenigstens einen hellen Punkt in der Geschichte darstellte.
Er lächelte grimmig unter seiner Maske. Wenn man es recht überlegte, dann wäre es ihm lieber gewesen,
Vorsoisson wäre frei und in der Lage, ihm zu helfen.
Besser jedoch noch, wenn Vorsoisson da angekettet und er selbst frei gewesen wäre, um Hilfe zu rufen. Doch der Versuch, seine Hände in ihren straffen Ketten zu drehen, bewirkte nur, dass er sich die Handgelenke wund kratzte.
Wenn man dich hätte umbringen wollen, dann wärest du jetzt tot, versuchte er seinen hyperventilierenden Körper zu überzeugen. Es sei denn natürlich, die anderen wären Sadisten und auf eine langsame und wohlüberlegte Rache aus… Was habe ich diesen Leuten überhaupt getan?
Abgesehen von dem üblichen Verbrechen, dass er
Barrayaraner im Allgemeinen und Aral Vorkosigans Sohn im Besonderen war…
Die Minuten krochen vorüber. Vorsoisson rührte sich und stöhnte, dann fiel er wieder in eine schlaffe Bewusstlosigkeit, was Miles wenigstens dahingehend beruhigte, dass der andere nicht tot war. Noch nicht. Als schließlich Schritte auf dem Beton zu hören waren, drehte Miles 260
vorsichtig den Kopf herum.
Wegen der Sauerstoffmaske und der Steppjacke, welche die sich nähernde Gestalt trug, war sich Miles zuerst nicht sicher, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelte, doch als sie näher herankam, erkannte er das lockige graublonde Haar und die braunen Augen einer Frau, die bei dem ersten VIP-Informationstreffen dabei gewesen war –
es war die Buchhalterin, die peinlich Genaue, die darauf geachtet hatte, dass sie eine zweite Kopie der Berichte ihrer Abteilung für Miles parat gehabt hatte – ha! Foscol stand auf ihrer Sauerstoffmaske zu lesen.
Sie sah seine offenen Augen. »Oh, guten Abend, Lord Auditor Vorkosigan.« Sie hob die Stimme und sprach laut und klar, damit ihre Worte deutlich durch die dämpfende Maske drangen.
»Guten Abend, Madame Foscol«, gelang es ihm zu
erwidern, wobei er sich ihrem Ton anpasste. Wenn er sie nur dazu bringen könnte, dass sie redete und ihm zuhörte…
Sie zog die Hand aus der Tasche und hielt etwas metallisch Glitzerndes hoch. »Das ist der Schlüssel zu Ihren Handgelenkfesseln. Ich werde sie hier drüben außerhalb Ihrer Reichweite ablegen.« Sie platzierte sie sorgfältig auf dem Gehweg, ungefähr in der Mitte zwischen Miles und dem Administrator, nahe an der Mauer des Gebäudes.
»Verhindern Sie, dass jemand sie zufällig über den Rand stößt. Sie würden dann nämlich ganz schön lange
brauchen, um sie dort unten wiederzufinden.« Sie blickte nachdenklich über das Geländer auf die dunkle Vegetation unterhalb der Betonrampe.
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Bedeutete das, dass jemand erwartet wurde – ein
Rettungsteam? Allerdings bedeutete es auch, dass Foscol, Soudha und Madame Radovas – Madame Radovas, was machte die denn hier? – davon ausgingen, sie würden nicht mehr da sein, um persönlich die Schlüssel zu überreichen, wenn diese Retter kämen.
Foscol kramte erneut in ihrer Tasche und holte eine Datendiskette heraus, die in schützendes Plastik gewickelt war. »Das, Mylord Auditor, ist die komplette Aufzeichnung der Bestechungsgelder, insgesamt etwa sechzigtausend Mark, die Administrator Vorsoisson im Laufe der letzten acht Monate angenommen hat.
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