Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vorläufige Chronik des Himmels über Pildau. Roman

Vorläufige Chronik des Himmels über Pildau. Roman

Titel: Vorläufige Chronik des Himmels über Pildau. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Scharnigg
Vom Netzwerk:
an, und Ludwig wartete noch auf die Amerikaner, aber sie kamen nicht mehr. Nicht an diesem Tag.
    Als auch am dritten Tag nach der Straßensperre keiner der Sloviks nach Pildau zurückkehrte, fing Ludwig an, die aufgehängte Kleidung, die Decken und Transparente sauber zusammenzulegen, damit der Wind sie nicht überall verteilte. Nach einer Woche begann er die Zelte abzubauen, er achtete darauf, dass nichts kaputtging, die Einrichtung, die meist nicht mehr war als ein paar gestrickte Beutel, Bücher und Batikstoffe, packte er gewissenhaft dazu. Im Oktober begann es zu regnen und hörte zwei Wochen lang nicht auf, der Hof, den die vielen Füße zertrampelt hatten, war eine weite Schlammgrube, in der Ludwig beim ersten Versuch bis zum Knie versank. Der Regen ging irgendwann in Schnee über, und vorsichtig querte Ludwig am nächsten Tag über die scharfgefrorenen Schlammkrusten und weißen Felder bis zur Straße, um das Schild abzunehmen, aber es war schon weg. Nun also, dachte er und ging den Weg zurück, und das war das Ende der Eddie-Slovik-Gesellschaft, obwohl sie nie offiziell aufgelöst wurde. Die Zeit verschluckte sie einfach, genau wie Pildau und seine Hofstange mit ihrem einzigen Bewohner wieder von ihr verschluckt werden würden.
    Das war es jetzt, wusste Ludwig Honigbrod und richtete sich darauf ein. Es ging ihm gut, nur die Gelenke waren so müde vom Beugen, die Finger griffen nicht alles, und für manche Bewegungen beim Längen der Stange hatte er keine rechte Kraft mehr. Das Gras im Hof wuchs im nächsten Frühling wieder, die rostenden Autos holte ein Schrotthändler ab, der zufällig auf den Hof kam und sein Glück nicht fassen konnte. Die Kleider und Tücher der jungen Leute legte Ludwig in den Schrank des Zimmers im ersten Stock, er hob sie auf, weil er damit rechnete, dass im Sommer doch jemand kommen würde, Mary vielleicht, aber es kam niemand. Zwei Jahre vergingen in dieser wiedergefundenen Stille, er längte nicht mehr, ging nicht mehr ans Altwasser, aber er las nach und nach die Bücher der Sloviks, und manches darunter war gar nicht uninteressant, auch wenn die Sache bestimmt erfolgreicher gewesen wäre, wenn sie etwas mehr unter naturwissenschaftlichen Gesichtspunkten gestanden hätte. Wahre Revolutionen kommen vom Wissen, dachte Ludwig, bestimmt nicht von der Liebe. Er fragte sich nun gelegentlich, wann er wohl sterben würde, und stellte fest, dass es nicht in seinem Bett in der kleinen Kammer sein sollte, in der er fast sein ganzes Leben verbracht hatte. Es müsste insgesamt mehr Luft sein und keinesfalls ein Erdkeller.
    Die Felder, die an Pildau grenzten, trugen in diesem Jahr zum ersten Mal nur Mais, und als Ludwig, wie er es zu tun pflegte, eines Tages heimlich dem Bauern zusah, der mit einem augenscheinlich neuen Mähdrescher durch die Reihen fuhr, sah es auf einmal aus, als käme direkt aus dem Schlund des Dreschers wieder etwas herausgefahren, und zwar ein Mann, der in der Hocke und nur wenig über dem Erdboden durch die Felder zu sausen schien, direkt auf Pildau zu. Ludwig erschrak und stellte sich, vage angelehnt, an die Tür, um den Besucher zu empfangen. Es war Max. Aber das erkannte Ludwig nicht gleich, denn dieser Mund in der Mittagssonne sah nicht aus, als würde er gleich lachen. Der Mann auf dem winzigen Mofa hatte die ganze Fahrt geweint. Ohne ein Wort nahm er die drei Stufen zur Tür, dann standen sich die beiden Männer gegenüber, sie sahen sich kein bisschen ähnlich. Ludwig erkannte alles, ohne zu fragen, er nahm seinen Sohn, er führte Max in die Küche, er ließ ihn zusammenbrechen, die nächsten Tage noch so oft, das Mofa stand zwei Wochen, wo Max es abgestellt hatte, direkt vor den Stufen, und keiner der beiden Männer dachte auch nur einen Moment daran, etwas zu verändern. Es war der erste Schmerz in Pildau, seit Ludwig verlassen worden war, und es war der Schmerz seines Sohnes, der zurückgekommen war. Noch in der ersten Nacht ging Ludwig los. Er konnte es immer noch, konnte immer noch im Dunkeln etwas für Max finden, und in dieser Nacht war es ein Strauß ganz einfacher, weißer Lupinen, die er ihm leise auf den Nachttisch stellte.

Blaue, blaue Tabletten und wichtigere Neuigkeiten
    Lada schlief immer lange, wenn mein Vater nicht da war. Ich drückte die Tür auf, sah, wie sie einen Moment in Erwartung der Gutenmorgengeschichte aufruckte, um dann bei meinem Anblick gleich wieder alles fahrenzulassen. Sie seufzte nur und drehte sich zum Fenster, ich setzte mich

Weitere Kostenlose Bücher