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Vorn

Titel: Vorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Bernard
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kann.
     Weißt du, so einen wie du auch hast in deiner Küche. Immer wenn ich bei dir übernachtete, bereiteten wir morgens den Milchkaffee
     in dieser Kanne zu. Das heißt, ich bereitete ihn zu, denn du schliefst ja fast immer länger als ich. Wenn wir abends ins Bett
     gingen, versprachst du zwar jedes Mal, am nächsten Morgen ausnahmsweise einmal vor mir aufzustehen, Frühstück beim Bäcker
     zu holen und Kaffee zu machen. Aber dann hattest du nachts doch wieder stundenlang im Bett gelesen, und wenn ich aufwachte,
     murmeltest du nur etwas wie: ›Lass mich noch kurz zu Ende träumen. Ich mach dann Kaffee.‹ (Ich konnte das nie glauben, dass
     du im Halbschlaf darüber verfügen konntest, den Traum weiterlaufen zu lassen.) Also ging immer ich in die Bäckerei in deiner
     Straße, kaufte Croissants und ein paar Marmorkuchen ›am Stück‹ – denn die Verkäuferin fragte mich immer, ob ich sie »einzeln
     oder am Stück« haben wollte, und im Ganzen wurde die Kuchenmenge viel großzügiger berechnet – und holte auf dem Rückweg die
     Zeitung vom Kiosk. Wenn ich die Wohnungstür aufsperrte, war immer die Frage, ob du es in der Zwischenzeit tatsächlich geschafft
     hattest, aus dem Bett zu kommen. Ich konnte aber damit rechnen, dass |210| die Schlafzimmertür noch geschlossen war, und nur ganz selten duftete deine Wohnung schon nach Kaffee, wenn ich hereinkam.
     Ich machte Frühstück, schnitt den Marmorkuchen auf und legte die Zeitung auf den Tisch in deiner großen Wohnküche. Dass wir
     beide gut zusammenpassten, zeigte sich auch daran, dass wir uns beim Zeitunglesen mit unseren Vorlieben nicht in die Quere
     kamen. Ich wollte immer zuerst den Sport-, du den Lokalteil. Nur an den Tagen, an denen die Sportseiten hinten in der Lage
     mit dem Lokalteil waren, musste einer von uns beiden nachgeben, und dann nahmst du entweder das Vermischte im ersten Teil
     der Zeitung oder ich das Feuilleton. (Ein paar Monate nach unserer Trennung änderte die Zeitung ihren Grundaufbau, und der
     Sportteil hat seitdem täglich eine eigene Lage. Das wäre uns noch mehr entgegengekommen.) Das gemeinsame Frühstücken und Zeitunglesen
     am Morgen war für uns einer der schönsten Momente des Tages. Einmal sahen wir im Kino den Film »Singles« mit Matt Dillon und
     Bridget Fonda. Der Niedergang einer langen, immer routinierteren Liebesbeziehung wird in diesem Film dadurch veranschaulicht,
     dass das Paar am Frühstückstisch jeden Morgen ausführlich Zeitung liest und sonst kaum miteinander spricht. Wie sehr verachteten
     wir damals diesen Film, der nichts vom Glück solcher Stunden zu wissen schien, von der stillen Übereinkunft, die Zeitung aufzuteilen,
     der Rücksichtnahme auf die Vorlieben des anderen! Fast ohne ein Wort kamen wir aus (nur gelegentlich las einer dem anderen
     eine Stelle vor), manchmal saßen wir sogar Rücken an Rücken, und dennoch gab es kaum einen Augenblick, in dem das Bewusstsein
     unserer Zusammengehörigkeit größer war.
     
    |211| Ich liebte es, in der Umgebung deiner Wohnung nach der besten Bäckerei zu fahnden. In den Jahren, in denen wir zusammen waren,
     hast du ja in drei verschiedenen Stadtteilen Münchens gelebt, und es gehörte nach den Umzügen immer zu den wichtigsten Dingen,
     durch die Straßen des neuen Viertels zu laufen und die Bäckereien zu entdecken. Ich hatte ohnehin das Gefühl, dass ich in
     der Anfangszeit mit dir zum ersten Mal überhaupt genau wusste, was ich gerne frühstücke. Jeden Morgen kaufte ich Croissants
     und anderes Gebäck – »Süßkram«, wie du immer sagtest. Alle deine Wohnungen sind in meiner Erinnerung mit bestimmten Frühstücksgewohnheiten
     verbunden: die Bäckerei im Glockenbachviertel, deren Nusshörnchen wir in den Sommermonaten oft auf dem Dach deines Hinterhofhauses
     aßen; ein Eiscafé in Schwabing, in dem ich jeden Morgen, wenn ich bei dir übernachtete, einen Schokolade-Nuss-Kuchen kaufte,
     der aus unerfindlichen Gründen »Schweizerkuchen« hieß; dann, in den letzten Jahren, die kleine Bäckerei beim Schyrenbad, deren
     Einrichtung offensichtlich seit Jahrzehnten unverändert geblieben war, mit dem Marmorkuchen »am Stück«. Mehrmals in der Woche
     hörte ich diese immergleiche Bemerkung, sie war die Frage aller Morgen. Als ich ein paar Monate nach unserer Trennung einmal
     einen Bekannten besuchte und in einer Bäckerei, in der ich nie zuvor gewesen war, ein paar Stücke Gewürzkuchen zum Kaffee
     kaufen wollte, sagte die Verkäuferin genau

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