Vorsicht Nachsicht (German Edition)
Rucksack über eine Schulter, ehe ich in meine Schuhe schlüpfe und mir meine Jacke unter den Arm klemme. Ich war schon ewig nicht mehr an der Nordsee, aber ich habe es dort recht windig in Erinnerung. Irgendwie kann ich mich nicht wirklich über den Ausflug freuen. Es wäre so schön gewesen, wenn es diese Nacht nicht gegeben hätte.
»Wie lange dauert die Fahrt?«, erkundige ich mich, als wir in Kilians Auto sitzen.
»Maximal drei Stunden«, antwortet er. »Wir fahren auf der Autobahn nach Wilhelmshaven und dann über Land weiter bis zur Fähre. Schätze wir sind am frühen Nachmittag da.«
»Aha«, murmle ich und sinke tiefer in meinen Sitz.
Er konzentriert sich aufs Fahren. Erst als wir auf die Autobahn kommen, hat er wieder mehr Aufmerksamkeit für mich übrig. Allerdings sind es nur Seitenblicke, die er mir gelegentlich zuwirft. Er scheint auch nicht so recht zu wissen, worüber wir reden sollen. Meine Gedanken kreisen immer noch um die Nacht. Ich versuche, mir vorzustellen, was er und Vitali gemacht haben. Keine Ahnung, warum ich mir so etwas antun will. Ich wage es nicht, ihn danach zu fragen, also schweige ich ebenfalls.
»Ich habe bis Dienstagabend frei«, sagt Kilian plötzlich. »Überstunden abfeiern, wegen dem Zugunglück. Wenn wir es solange aushalten, können wir bis dahin auf der Insel bleiben. Oder hast du etwas Bestimmtes vor die nächste Woche?«
»Nein, ich muss auch erst wieder Dienstag arbeiten«, antworte ich.
»Im Café?«
»Ja«, bestätige ich. »Nachmittags.«
»Aber du machst nicht noch einmal solche Horrorschichten, oder?«
»Nein, nur normal. Dreimal in der Woche eine Schicht mit sechs Stunden.« Ich sehe wieder nach draußen. Die Zeit, die jetzt kommt, hatte ich mir total schön vorgestellt. Keine Uni. Kein Lernen. Nur Kilian und ich. Mindestens drei Wochen lang. Das können wir immer noch haben. Aber momentan erscheint es mir so unwirklich und verboten. Torben würde mir den Kopf abreißen, wenn er davon wüsste.
»Hast du sonst noch etwas vor?«, fragt Kilian weiter.
»Ich weiß noch nicht«, gestehe ich.
Wir fahren eine Weile schweigend weiter. Es ist ein äußerst unangenehmes Schweigen. Hin und wieder spüre ich noch seinen Seitenblick auf mir, doch er sagt nichts mehr. Etwa eine Stunde sitzen wir so nebeneinander. Dann setzt Kilian plötzlich den Blinker und fährt bei der nächsten Raststätte von der Autobahn ab. Er bremst ein wenig abrupt und wendet sich mir ebenso ruckartig zu.
»Verdammt, das habe ich mir anders vorgestellt«, gesteht er und sieht mich eindringlich an. »So will ich nicht mit dir wegfahren.«
Ich bin ein wenig zusammengezuckt und senke nun unwohl meinen Blick. »Sorry.«
»Nein, verdammt. Es liegt doch nicht an dir. Ich meine… Kannst du mir nicht eine kleben und dann können wir wieder normal weitermachen?«, erkundigt er sich.
»Ich soll dich schlagen?«, hake ich nach und sehe ihn nun doch wieder an – erstaunt.
»Zum Beispiel.« Er nickt. »Irgendwas, damit sich die Atmosphäre entlädt und wir uns wieder normal unterhalten können oder wenigstens damit ich weiß, was jetzt kommt. Verzeihst du mir wirklich? Bleiben wir zusammen? Können wir die nächsten Wochen gemeinsam verplanen?«
»Ich weiß es noch nicht«, gebe ich leise zu. »Eigentlich ja.«
»Wieso bist du nicht sauer?«, fragt er noch einmal verständnislos. »Hast du wieder nichts anderes von mir erwartet?«
»Ich hatte gehofft, dass du nicht mehr fremdgehst«, gebe ich leise zu. »Es hat mich verletzt.«
»Tut mir leid.« Seine Hand berührt meinen Schenkel, als ich nicht weg zucke, streicht sie über ihn. Ich glaube, das ist das erste Mal, dass er sich entschuldigt. »Wirklich, Ruben, es tut mir leid. Ich wollte dich nicht verletzen. Ich weiß wirklich nicht, was in diesem Moment in mich gefahren ist. Es war wohl aus dem Affekt heraus.«
»Was für ein Affekt?«, frage ich verwirrt.
»Na ja, Alkohol, Sehnsucht, Lust auf Sex, Vorfreude auf heute mit dir und Verbundenheit mit Vitali, weil wir das gleiche Problem hatten«, erklärt Kilian kleinlaut. »Es hatte nichts zu bedeuten. Mir fehlen da echt die Hemmungen. Darum musst du wütend auf mich sein und mir die Meinung sagen, damit ich es nie wieder mache. Ich will dich wirklich nicht verletzen.«
»Bedeutet dir Sex nichts?«, erkundige ich mich zurückhaltend. Ich will ihn verstehen. Wenn er sagt, dass es ihm nichts bedeutet hat, dann könnte man es wohl so interpretieren.
»Es gibt verschiedene Arten von Sex«,
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