Vorsicht Nachsicht (German Edition)
alles.«
»Klingt echt traumatisch«, meint Kilian mitleidig. »Wie alt warst du?«
»Keine Ahnung, sechs oder sieben.«
»Wieso gehst du in dem Alter allein in den Keller? Wo waren deine Eltern? Warum haben sie dich nicht sofort rausgeholt?« Er runzelt die Stirn.
»Die waren arbeiten. Ich war allein und wollte mir ein Glas Kirschen klauen«, gebe ich zu und weiche seinem Blick aus. »Deshalb hat es auch eine Weile gedauert, bis sie mich gefunden haben. Na ja, und sonst ist nichts passiert. Die Ratten sind mir ziemlich nahe gekommen und ich hatte Angst und seitdem…«
»Das hätte wohl jeder.« Er seufzt und schüttelt leicht den Kopf.
Aber dann kommt auch schon unser Essen. Die Platte ist riesig. Mir fallen beinahe die Augen raus. »Wer soll das denn alles essen?«
»Ach, das schaffen wir schon«, meint Kilian zuversichtlich. »Du solltest ordentlich essen nach dem ganzen Lernstress. Magst du eigentlich immer noch so gerne Kirschen?«
»Nach dem Vorfall weniger«, antworte ich schief lächelnd.
Er nickt. »Okay, dumme Frage.«
»Du bist jetzt aber wirklich wieder dran, mir eine Macke von dir zu verraten«, meine ich und nehme mir zum Probieren von allem ein wenig auf den Teller. Um zu wissen, was ich am liebsten mag, muss ich schließlich wissen, wie es schmeckt.
Kilian weiß dagegen wohl schon eher, was er mag. Er nimmt sich die Hälfte von einem komisch aussehenden Fischstück und dazu Kartoffeln und den Salat, den es als Beilage gibt. »Hm…«, murmelt er nachdenklich. »Ich knacke manchmal mit Gelenken, aber nicht absichtlich.«
»Das ist aber keine wirkliche Macke. Das machen viele sogar absichtlich«, meine ich. »Guten Appetit.«
»Ja, dir auch«, wünscht Kilian und lächelt. »Okay, es ist vielleicht wirklich keine Macke, wenn ich es nicht mal absichtlich mache. Lass mich überlegen… Äh, schmeckt es dir?«
»Ja, lecker«, beteuere ich, obwohl ich erst eine Gabel probiert habe.
Kilian hat aber auch noch nicht viel gegessen. Er beginnt, sein Stück akribisch zu zerlegen. Ich beobachte ihn dabei eine Weile belustigt. Am Ende hat er auf der einen Seite des Tellers einen zerwühlten Haufen Fisch und auf der anderen drei Gräten. Ich schüttle den Kopf.
»Okay, ich akzeptiere das da als eine Macke.«
»Was?« Erstaunt sieht er auf.
»Na, was du dem armen Fisch angetan hast«, erkläre ich lächelnd.
»Oh… Ja, ich mag absolut keine Gräten im Mund«, gesteht er lachend. »Das sieht immer so schlimm aus bei mir. Dann bist du jetzt dran?«
»Hm, okay… Ich muss überlegen.«
»Lass dir Zeit.«
Das tue ich. Ich konzentriere mich zunächst mehr auf den Fisch. Tatsächlich habe ich großen Hunger.
»Es ist ein wenig so wie ein Vorstellungsgespräch, oder?«, stellt Kilian fest. »Wir suchen uns Macken aus, die uns dennoch möglichst liebenswert erscheinen lassen.«
»Kann sein… Wollen wir damit nicht aufhören?« Die Chance sollte ich mir nicht entgehen lassen.
»Meinetwegen. Ich finde dich auch schon jetzt schrecklich liebenswert«, gesteht er schmunzelnd.
Ich schnaube leise. Ja klar. Schrecklich sicherlich. Genauso schrecklich wie seine Geschmacksverirrung. Wir essen schweigend weiter. Es ist nicht unangenehm. Uns beiden schmeckt es so gut, dass wir gar nichts sagen müssen. Hin und wieder lächeln wir uns an. Ganz schaffen wir es jedoch nicht, die Essensmengen zu bewältigen.
Schließlich sind wir beide pappsatt und Kilian schlägt vor, nun einen Verdauungsspaziergang zu machen. Einmal um die Insel, falls wir es schaffen. Ich stimme zu, aber zunächst möchte ich am Strand entlang laufen. Das machen wir auch und bald haben wir auch schon die halbe Insel hinter uns. Auf dem Rückweg beginnen meine Füße, etwas zu schmerzen.
»Oh Mann, ich bin nichts mehr gewöhnt«, stelle ich fest und schmiege mich mehr an Kilian, der den Arm um meine Schulter gelegt hat.
»Inwiefern?«
»Laufen… Durch das Lernen muss ich aus der Übung gekommen sein«, vermute ich leichthin.
»Das liegt bestimmt an deinen Schuhen. Du hast ja immer noch diese furchtbaren Teile, in denen du die Blasen bekommen hast«, stellt Kilian leicht empört klingend fest. »Außerdem solltest du dir einen anderen Job suchen, der nicht so anstrengend ist.«
»Zum Beispiel?«, erkundige ich mich und gehe gar nicht erst auf mein Schuhwerk ein. Erstens, weil ich Schuhe kaufen hasse, zweitens, weil ich kein Geld habe und drittens, weil ich nicht will, dass er sich genötigt sieht, mir welche zu kaufen. Dass er das machen
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