Vorsicht Nachsicht (German Edition)
weiß, dass ich sie kenne und auch höre.
»Aha, cool.« Torben sieht mich überrascht an. »Ein Radiomoderator hat dich gefickt? Oder hast du ihn gefickt?«
Ich sehe ihn schweigend an.
»Schon okay, du musst es mir nicht verraten«, seufzt mein Cousin gnädig. »Dabei kennen wir uns schon so lange… Du erzählst mir nie etwas über dein Sexualleben!«
»Ich war Bottom«, brumme ich, damit er Ruhe gibt.
Torben grinst verschmitzt und setzt sich wieder auf. »Hast du schon Abendbrot gegessen?«
Ich schüttle den Kopf. Sofort steht er auf und geht zu meinem Kühlschrank. Empört dreht er sich von dort wieder zu mir um. »Dein Kühlschrank ist leer, Ruben.«
»Ach?«
»Kommst du mit zu mir? Ich habe noch was da…«
»Eigentlich habe ich keinen Hunger…«
»Klar… Zier dich nicht so!«
Sich wehren hat wenig Sinn. Also folge ich ihm treudoof in seine WG und werde zum zweiten Mal an diesem Tag durchgefüttert. Anschließend gehe ich zurück in meine Wohnung. Torbens Neugier ist befriedigt. Ich lege mich zurück ins Bett und mache nun doch das Radio an. Nachrichten. Aber nicht von ihm. Ich bin gleichermaßen enttäuscht wie erleichtert. Während ich der Abendmusik lausche, schnappe ich mir ein Buch. Plötzlich habe ich Lust, etwas anderes zu lesen als immer nur Lehrbücher. Diesen Roman habe ich zu Weihnachten von meinen Eltern geschenkt bekommen. Nicht mein Geschmack, aber was soll’s?
***
Am nächsten Morgen klingelt mein Wecker und ich gehe zur Arbeit. Mein Chef schmeißt mich aber sofort wieder raus. Ich brauche gar nicht vor der Nachmittagsschicht wiederzukommen. Er kann keine ineffizienten Mitarbeiter gebrauchen. Wenn ich die Doppelschichten nicht packe, setzt er mich eben nur einfach ein. Meine Geldprobleme sind ihm egal. Für den Rest der Woche soll ich nur nachmittags arbeiten. Sieht so aus, als würde ich tatsächlich auf das Geld von Kilian zurückgreifen müssen. Scheiße.
Immerhin habe ich so mehr Zeit zum Lernen und außerdem ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich Kilian noch einmal im Café treffe um die Hälfte reduziert. Ich kann mich stattdessen jeden Morgen mit meiner Lerngruppe in der Bibliothek treffen. Die anderen haben zwar schon vor mir angefangen, doch ich habe eigentlich keine Probleme, mit ihnen mitzuhalten. Es ist eine Gruppe von vier Leuten: Inna, Jürgen, Marcel und Viktor. Wir haben schon öfter zusammen gelernt. Inna und Viktor sind Deutschrussen, Jürgen ist dick und Marcel ein Klugscheißer. Irgendwie passen wir ganz gut zusammen: Die Außenseiter. Nur dass es im Studium keine wirklichen Außenseiter mehr gibt. Man wird nicht mehr aufgezogen. Keine Hänseleien. Es gibt viele einzelne Gruppen und keine kümmert sich um die anderen. Wir sind eben eine von vielen.
»Ich werde diese Formel nie kapieren«, schnauft Jürgen, während er sich angestrengt über seine Zettelsammlung beugt.
»Dann lern’ sie doch auswendig«, schlägt Marcel vor.
Inna ist hilfsbereiter und sieht sich immerhin mal an, um was für eine Formel es sich handelt. Ich kann nicht gut erklären, aber wenn Inna es nicht kapiert, werde ich ran müssen. Eigentlich habe ich besseres zu tun, als Jürgen ständig Starthilfen zu geben. Er ist ein bisschen träge im Kopf, aber nicht dumm. Wenn er einmal etwas kapiert hat, vergisst er es dafür nicht so schnell.
»Ruben?«, bittet Inna mich tatsächlich um Hilfe.
Seufzend erhebe ich mich und laufe um den Tisch herum. »Zeig mal.«
Eine Weile sehe ich unschlüssig auf die Ansammlung von Buchstaben und Verknüpfungssymbolen. Aber schließlich gelingt es mir sie einzuordnen. »Ach so… Das ist doch einfach.«
Ich erkläre ihm die Bedeutung der einzelnen Buchstaben und wie sie durch die Funktion in Beziehung gesetzt worden sind. Allerdings fehlen mir dafür wie immer die richtigen Worte. Ich bemitleide Jürgen, denn ich verstehe selbst nicht so richtig, was ich da eigentlich von mir gebe. Resigniert schaue ich ihn an, als ich ende. »Sorry, war das einigermaßen verständlich?«
Er glotzt mich groß an. »Geht so… Inna, hast du das verstanden?«
Zum Glück hat sie das und spielt den Übersetzer für mich. Schlimm, zumal Deutsch nicht einmal ihre Muttersprache ist und sie es trotzdem besser hinbekommt. Kleinlaut setze ich mich auf meinen Platz zurück. Wir arbeiten eine Weile schweigend weiter.
Dann richtet sich plötzlich Marcel an mich. »Sag mal Ruben, kommst du am Freitag auch?«
»Wohin?«
»Ins ‚Vía‘ ?«
»Ihr wollt diesen Freitag ins
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