Vorsicht Nachsicht (German Edition)
‚Vía‘ ?«, frage ich zurück.
»Ja.«
»Es ist WoMan-Dance«, wende ich ein und fühle, wie ich rote Ohren bekomme. Sie wissen nicht, dass ich schwul bin. Ich mache zwar kein Geheimnis daraus – habe auch nie behauptet, dass ich hetero wäre –, aber für sie bin ich wohl eher der sozial unbegabte Streber, der zwangsläufig asexuell ist, weil er nichts anderes auf die Reihe bekommt. Irgendwie stimmt das wohl auch.
»Wow, kennst du das Programm auswendig?«, wundert sich Marcel spöttisch. »Na und? Es gehen viele Normale hin… Mit den Homos würden sie den Laden doch nicht annähernd voll bekommen.«
Das stimmt allerdings. Es ist ja ausdrücklich Teil der Partybeschreibung, dass auch Heten erlaubt sind. Sie dürfen sich nur nicht intolerant aufführen und müssen damit umgehen können, falls sie mal fälschlich von einem Vertreter ihres eigenen Geschlechts angemacht werden.
Ich runzle die Stirn. »Du würdest Schwule also nicht als normal bezeichnen?«
»Du weißt, wie ich das meine.« Er verdreht die Augen. Natürlich weiß ich das. In der Uni geben sich fast alle tolerant. Sie sind zu intelligent, um sich ihre Vorurteile anmerken zu lassen. Vorhanden sind sie trotzdem. Ich habe ja selbst Vorurteile gegen Schwule.
»Wann geht ihr denn hin?«
»Wir treffen uns um elf vor dem ‚Vía‘ .«
Natürlich. Kein Vorglühen. Wozu auch? Ich zucke mit den Schultern. »Okay, ich komme auch. Allerdings bin ich vorher noch mit meinem Cousin verabredet, der wollte zwar auch ins ‚ Vía‘ , aber erst später.«
Stimmt nicht ganz. Ich treffe mich mit Torben erst um zwölf auf dem Parkplatz vor der Kulturhalle, die am Wochenende als Studentendisco dient. Davor werde ich Radio hören und mich nicht am Vorglühen beteiligen. Ich trinke kaum Alkohol – außer Weißwein, der mir von einem… Egal. Eigentlich vertrage ich einfach nichts. Nicht, dass ich schnell besoffen werde, nur am nächsten Morgen ist mir grundsätzlich schlecht.
»Dein Cousin?«, wundert sich Inna.
»Torben… Kennt ihr nicht.«
»Ist der in unserem Alter?«, will Jürgen wissen.
»Ja, aber er studiert nicht«, erkläre ich und beuge mich wieder über meine Unterlagen. Die anderen folgen meinem Beispiel. Viktor hat ohnehin kaum auf unsere Unterhaltung geachtet. Er spricht auch nicht so gerne Deutsch. Wenn er mit Inna redet, dann meist auf Russisch.
Nach der Lerngruppe gehen wir noch in die Mensa. Gegen die Mahlzeiten dort kann ich nichts sagen. Sie sind tausendmal besser als alles, was ich selbst herstellen könnte, darüber hinaus nicht so fettig wie das Essen im ‚Moritz‘ . Außerdem ist es günstig. Ich hole mir irgendetwas mit Reis und merkwürdigen Pilzen. Offenbar soll es chinesisch sein. Egal, Hauptsache essbar.
»Okay, wer ein Wort über den Lernstoff verliert, schmeißt eine Runde Getränke«, erinnert uns Jürgen an unsere Essensregel. So schaffen wir es immerhin, mal für eine Stunde abzuschalten. Marcel richtet sich fröhlich an mich. »Hey, ich habe ein neues Spiel. Hast du mal Zeit zum Zocken?«
»Was für eins?«
»Ego-Shooter.«
Ich verziehe das Gesicht. »Falsche Adresse. Frag Jürgen.«
»Der kann das nicht. Keine Reflexe«, meint Marcel grinsend und blickt zu unserem Freund rüber, der aber zu sehr vom Essen in Anspruch genommen wird, um sich ärgern zu lassen.
Ich runzle die Stirn. »Hm… Zurzeit ist es schlecht. Ich muss arbeiten und daher komme ich nur abends zum Lernen. Viktor magst du nicht?«
Jener zeigt mir einen Vogel. Na danke. Marcel lächelt unbelastet. »Habe ich schon. Ach komm schon. Einen Abend. Allein macht es keinen Spaß.«
»Hm, okay.«
»Super, wann?«
»Ich überleg’s mir.«
»Quatsch… Nächste Woche irgendwann?«
»Ja.«
»Dienstag?«
»Okay.«
»Um acht bei mir.«
»Gut«, seufze ich unglücklich. Marcel ist ein anständiger Kerl, aber er labert zu viel. Irgendwie ist er auch ziemlich kindisch. Er wohnt auch noch bei seinen Eltern. Immerhin hat er eine Freundin, soweit ich weiß. Sie ist erst siebzehn. Ich blicke zu Inna rüber. »Du magst wohl keine Ego-Shooter, oder?«
Sie lacht, als hätte ich einen guten Witz gemacht. Ich kratze mich verlegen am Kopf und esse weiter. Marcel erzählt mir dabei etwas über das Spiel. Die anderen hören ihm ebenfalls zu, obwohl es eigentlich niemanden wirklich interessiert. Wir sind zwar irgendwie befreundet, aber doch zu oberflächlich, um über wirklich ernste Dinge zu reden. Wenn ich Probleme hätte, würde ich niemals auf die Idee
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