Vortex: Roman (German Edition)
das Verbrechen spendabel und die Tugend bettelarm gewesen sei. Und die äquatorianische Ölschwemme habe das Problem noch verschlimmert. Oberflächlich betrachtet, sei Houston eine »saubere« Stadt: Das Police Department sei ziemlich gut im Deckeln von Eigentums- und kleinen Gewaltdelikten, und sollte unter der polierten Oberfläche ein ungehemmter Strom an illegalen Waren und undokumentiertem Bargeld fließen – nun, es gehörte zu den Aufgaben des Departments, dafür zu sorgen, dass niemand zu genau hinsah.
Bose hatte es sorgfältig vermieden, dieser Schattenseite zu nahe zu kommen, hatte sich lieber für stumpfsinnige Arbeiten gemeldet, als dubiose Aufgaben zu übernehmen, hatte sogar Beförderungen ausgeschlagen. Mit dem Ergebnis, dass man ihn für »wenig kreativ«, ja sogar für dumm hielt. Aber weil er sich nie ein Urteil über Kollegen erlaubte, betrachtete man ihn zugleich als nützlich: Ein Officer, der sich mit großem Eifer auf den Kleinkram stürzte, hielt den Ambitionierten den Rücken für die wirklich lukrative Arbeit frei.
»Sie konnten also Ihre Hände in Unschuld waschen«, sagte Sandra betont sachlich.
»Ja. Bis zu einem gewissen Grad. Ich bin kein Heiliger.«
»Sie hätten zu Ihrem Vorgesetzten gehen und die Korruption aufdecken können.«
Er lächelte. »Das wäre zwecklos gewesen. In dieser Stadt gehen Geld und Macht Hand in Hand. Die Vorgesetzten sind diejenigen, die am meisten absahnen … Hier an der Kreuzung rechts. Mein Haus ist das zweite links, wo die Straßenlampe steht … Wenn Sie mehr hören wollen, kommen Sie am besten mit nach oben. Ich habe nicht viel anzubieten, aber eine Flasche Wein sollte noch irgendwo sein.« Er sah sie mit treuherzigem Blick an. »Wie gesagt, nur wenn Sie wollen.«
Sie wollte. Und das nicht nur, weil sie neugierig war. Anders gesagt: Ihre Neugier beschränkte sich nicht auf Orrin Mather und das Houston Police Department. Sie war zunehmend neugierig auf Jefferson Bose.
Auf jeden Fall war er kein Weinkenner. Er holte eine angestaubte Flasche aus dem Küchenschrank, irgendeinen Shiraz, stiefmütterlich behandelt, vermutlich ein Geschenk. Sandra sagte, dass es ein Bier auch täte. Sein Kühlschrank war voll mit Corona.
Boses Einzimmerapartment war recht traditionell möbliert und relativ sauber, als wäre es erst kürzlich gereinigt worden. Obwohl die Wohnung nur drei Stockwerke über der Straße lag, war ein Stück der Skyline von Houston zu sehen: die protzigen Türme, die in den Nach-Spin-Wirren aus dem Boden geschossen waren und sich wie riesige Pixelboards aus zufällig erleuchteten Fenstern ausnahmen.
»Das Geld ist der Motor«, sagte Bose, drückte Sandra eine gekühlte Flasche Corona in die Hand und setzte sich ihr gegenüber in einen Sessel, der schon bessere Zeiten gesehen hatte. »Geld und das Einzige, was mehr wert ist als Geld.«
»Und das wäre?«
»Leben. Langlebigkeit.«
Er meinte den Handel mit marsianischen Pharmazeutika.
Während ihres Studiums hatte Sandra mit einer Biochemie-Studentin zusammengewohnt, die von der marsianischen Langlebigkeitsbehandlung, die Wun Ngo Wen mit zur Erde gebracht hatte, geradezu besessen gewesen war – sie hatte die Befürchtung geäußert, die neurologischen Veränderungen, die die Marsianer einprogrammiert hatten, könnten die lebensverlängernde Wirkung zunichtemachen, und hatte sich nichts sehnlicher gewünscht, als dass die Regierung Proben dieses Medikaments zur Analyse freigab. Vergebens. Sandras Zimmergenossin hatte dann eine ganz und gar konventionelle Laufbahn eingeschlagen, aber ihre Intuition, was das marsianische Medikament betraf, hatte sich bewahrheitet, nachdem aus den Laboratorien des National Institute of Health illegale Proben auf den Schwarzmarkt gelangt waren.
Nach Ansicht der Marsianer sollte Langlebigkeit mit Weisheit und moralischer Verantwortung einhergehen, und dementsprechend hatten sie ihre Pharmazeutika entworfen. Das berühmte »vierte Lebensalter«, das Erwachsensein jenseits des Erwachsenseins, brachte Veränderungen im Gehirn mit sich, die die Aggressivität einschränkten und die mitmenschliche Anteilnahme förderten. Keine schlechte Idee, dachte Sandra, aber ein Ladenhüter. Die Schwarzmarkthändler hatten das biochemische Kombinationsschloss geknackt und ein marktgerechteres Produkt entwickelt, und so konnte man sich heutzutage, das nötige Geld und die entsprechenden Kontakte vorausgesetzt, zwanzig oder dreißig zusätzliche Lebensjahre kaufen – ohne diese
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