Vorzeitsaga 03 - Das Volk der Erde

Weißlehm-Mann? Von wem sprach dieser Krieger?
    »Rille? Sieh mal da vorn am oberen Ende der Schlucht nach. Aus dem Dickicht hier kommt er nicht heraus, ohne sich so viele Speere einzufangen, daß er aussieht wie Stachelschweins großer Bruder.«
    »Sei vorsichtig! Er wirft gut. Wir müssen ihn entdecken, bevor er uns ins Visier nimmt.«
    »He! Schwarzspitze! Versteckst du dich wie eine Frau? Kämpft ihr so, ängstlich in den Büschen herumkriechend?«
    Windläufer spähte vorsichtig durch das Gewirr aus Ästen, das ihn verbarg. Ließ Einziger Mann ihn im Stich?
    Ein Speer zischte heran und streifte Windläufers Kriegshemd. Windläufer ließ es auf keine neuerliche Mutprobe ankommen, sondern warf sich sofort flach auf den Bauch. Dabei rissen ihm die Äste einen weiteren Speer aus der Hand. Schnell kroch er aus der Gefahrenzone.
    Beim verfluchten Licht der Sonne, wo blieb Einziger Mann?
    Ein siegestrunkener Krieger rannte johlend durch das Gewirr der Felsenbirnensträucher. Windläufer rollte sich zu einer Kugel zusammen.
    »Bist du sicher, daß du ihn gesehen hast?« fragte eine Stimme. »Vielleicht war es nur ein Schatten?
    Irgendein Tier? Ein Kojote oder ein Rotluchs?«
    »Er war es!«
    »Verteilt euch!« befahl eine andere Stimme. »Wir bilden eine Kette, treiben ihn weiter hinauf und kesseln ihn ein.«
    Windläufer zuckte zusammen. Dieser Plan sah leider erfolgversprechend aus.
    »Fliegender Falke? Du kannst mit den anderen heraufkommen! Von einer Falle keine Spur… sonst hätten sie uns längst angegriffen!« grölte eine Stimme.
    War das der Grund? Hatten ihn nur ein paar der feindlichen Krieger verfolgt? Windläufer griff in die dicke Laubschicht, auf der er lag und ein Hoffnungsfunke erglomm in seiner Brust. Wenn es ihm gelang, sich im Laub einzugraben, hatte er vielleicht noch eine Chance zwar nur eine kleine, aber immerhin eine Chance.
    Ich kehre in Einziger Manns Lager zurück. Ich gebe mein Ehrenwort, wenn ich hier lebend herauskomme, bringe ich ihn um. Dieses Mal bringe ich ihn um. Ich treibe einen Speer durch ihn hindurch, bevor er auch nur mit einer Wimper zucken kann! Niemand läßt Windläufer als Zielscheibe der Krieger der Gebrochenen Steine im Stich. Niemand!
    »Ob das Zeug brennt?« erkundigte sich einer der Verfolger.
    Windläufer blieb fast das Herz stehen. Wollten sie etwa das Dickicht anzünden… nein, nicht einmal daran denken!
    »Ist zu feucht, so kurz nach der Schneeschmelze. Außerdem haben die Sträucher viel zuviel Saft. Sie knospen schon. Ich glaube, die schwelen höchstens.«
    Unwillkürlich stieß Windläufer einen Seufzer der Erleichterung aus.
    »He, wird aber auch Zeit! Willkommen bei der Jagd, Fliegender Falke. Wir dachten schon, ihr hättet beschlossen, hier oben sei es zu gefährlich für euch…«
    Ein wildes Geheul ertönte.
    »Das ist eine Falle!« kreischte ein Krieger in panischem Schrecken.
    Laute Schreie durchschnitten die Luft. Unter den in wilder Panik durcheinanderrennenden Füßen erklang das Geräusch brechender Äste. Speere pfiffen durch die Luft und schlugen klappernd auf Felsen.
    Vorsichtig grub sich Windläufer aus dem modrigen Blätterhaufen. Er zögerte. Er befand sich genau zwischen den Fronten und mußte befürchten, sowohl von seinen Freunden oben auf den Felsen wie von den Feinden getroffen zu werden.
    Von oben grölte Einziger Mann: »Lauft, ihr Hunde der Gebrochenen Steine! Rennt davon wie Eselhasen vor einem Wolf! Zeigt uns eure Fersen, ihr jämmerlichen alten Weiber! Ha!«
    Unter dem Gepolter von Steinen, gefolgt von prasselndem lockerem Geröll und Erde, schlitterten die Schwarzspitzen-Krieger den Hang herunter. In der Nähe stöhnte ein Krieger vor Schmerz.
    »Schneckenhaus! Bring den da um. Ich prügle diesem hier noch das Gehirn heraus. He, Windläufer?
    Bist du da? Lebst du noch? Oder hast du dich zu Tode geschissen?«
    Windläufer lugte über den Rand der Sträucher. Feuerkaninchen schmetterte gerade eine schwere Sandsteinplatte auf einen Feind.
    »Ihr habt lange genug gebraucht!« Windläufer hetzte durch das Strauchwerk. Erst jetzt, da er gerettet war, spürte er wieder die stechenden Schmerzen in seinem Knöchel. Gequält zuckte er zusammen, fürchtete, bewußtlos zu werden.
    Feuerkaninchen starrte auf den zermalmten Körper seines Opfers. »Sie kamen nicht alle herauf. Sie warteten, gerade außer Speerwurfweite, als wüßten sie, daß wir da sind.« Er grinste. »Das machte einige von uns mißtrauisch, obwohl Einziger Mann dir vertraute.