Vorzeitsaga 05 - Das Volk an der Küste
Partner regelmäßig zu versorgen. Deine brauche ich nicht auch noch.« Er trat vor und umarmte Nachtschwalbe. Sie klopften sich gegenseitig freundschaftlich auf den Rücken. Die umstehenden Dorfbewohner lächelten.
»Komm, ich will dich Häuptling Hirschhorn vorstellen. Dies hier ist das Moosfelsen-Dorf. Diese Leute sind entfernte Vettern von mir. Sie werden dich freundlich aufnehmen. - Hirschhorn, ich will dir meinen guten Freund Stechapfel vorstellen«, rief er einem alten Mann zu, der neben dem größten Zelt im Mittelpunkt des Dorfes stand. »Komm! Stechapfel ist der berühmte Händler von der Seenplatte.«
Der Älteste kam zu ihnen gehumpelt. Er trug ein reich bemaltes Hemd aus der Haut eines alten Riesenwolfs. Das Fell hatte er nach innen gekehrt, so daß es ihn warm hielt, und um seinen Hals herum lugte grauer Pelz hervor. Er nickte Stechapfel höflich zu, und Stechapfel verbeugte sich tief und respektvoll.
»Es ist eine große Ehre für mich, dich zu treffen, Häuptling Hirschhorn. Im ganzen Land ist dein Ruf als großer und weiser Anführer verbreitet.«
Der feindselige Ausdruck in Hirschhorns Augen milderte sich nur um ein weniges. Sein Mund zuckte, als wollte er ausspeien. »Auch ich habe von dir gehört, Stechapfel. Du bist doch der Mann, der seine Frau sucht?«
»Ja«, antwortete Stechapfel leise, »der bin ich, großer Hirschhorn. Wir hatten gehofft, daß du uns helfen könntest.«
»Warum stehen wir denn herum?« fragte Nachtschwalbe. »Kommt, setzt euch an mein Feuer! Ich habe schon einen Beutel Tannennadeltee fertig.«
Er ging voraus. Hirschhorn und Stechapfel liefen nebeneinander, während Tannin das Schlußlicht machte. Stechapfels Stimme klang beinahe ehrerbietig, als er mit Hirschhorn sprach. Tannin staunte.
Konnte das derselbe Mann sein, der sich noch vor einer Woche fast vor Wut zerrissen hatte?
Alter-Mann-Oben sei Dank, daß Stechapfel wieder normal geworden ist.
Die Dorfbewohner nahmen sie in Augenschein. Seit sie den unfreundlichen Tonfall in Hirschhorns Stimme vernommen hatten, lächelten die Leute nicht mehr; die Frauen flüsterten hinter vorgehaltener Hand, und die Kinder klammerten sich am Rock der Mutter fest und schauten ängstlich hoch.
Zwischen den Schultern bekam Tannin eine Gänsehaut, als wäre ein Atlatl auf seinen Rücken gerichtet.
Heiliger-Sumpfhase-Oben, was haben diese Leute über uns gehört? Unbehaglich blickte er sich um. Je eher sie das Moosfelsen-Dorf verließen, desto besser für ihn.
Tannin ließ sich neben Stechapfel vor dem niedrigen Feuer auf den Sand fallen. Dem Zelt hatte er den Rücken zugekehrt. Wachsam ließ er die Blicke über das Dorf schweifen. Nachtschwalbe saß zu Tannins Rechter, Hirschhorn zu Nachtschwalbes Rechter. Aber Hirschhorn ließ eine deutliche Lücke zwischen Stechapfel und sich selbst, als fürchtete er, befleckt zu werden, wenn er sich dichter zu ihm setzte. Tannin sah Stechapfel von der Seite an. Sein Bruder lächelte freundlich, als hätte er Hirschhorns Verhalten nicht bemerkt.
»Nehmt doch Tee«, bot Nachtschwalbe übereifrig an. Er füllte vier aus dem Gehäuse von Seeohrschnecken gefertigte Trinkschalen und reichte sie im Kreis herum. »Nun, Stechapfel, sag doch, wie steht es mit deiner Suche? Hast du deine mißratene Frau noch nicht gefunden?«
Stechapfel winkte lässig ab. »Das ist nur eine Frage der Zeit. Wir wissen, daß sie zur Küste gegangen ist. Sie …«
»Woher weißt du das?« fragte Hirschhorn. Seine alten Augen hatten sich zu Schlitzen verengt.
Verblüfft beugte Tannin sich vor, um eine wütende Antwort zu geben, aber Stechapfel legte ihm eine Hand auf die Schulter und schob ihn sanft zurück. Mit leiser Stimme antwortete Stechapfel: »Verzeih, Ältester. Ich wollte sagen, wir glauben, daß sie zur Küste gegangen ist. Von dort kam die Familie ihres Geliebten. Wir vermuten, daß sie fälschlicherweise annimmt, der Klan seiner Mutter werde ihr vor uns Zuflucht gewähren.«
Tannin blickte auf Nachtschwalbe. Der junge Händler hatte die Kiefer so fest zusammengepreßt, daß sie mißgestaltet wirkten. Sein Blick zuckte von einem zum anderen, als wollte er abwarten, aus welcher Richtung der Wind wehte, bevor er seine eigenen Gedanken enthüllte. Tannin stellte fest, daß es sehr viele Menschen gab, auf die er in einer schwierigen Situation lieber angewiesen wäre als auf Nachtschwalbe.
Stechapfel breitete die Arme aus, als wollte er sich ergeben. »Ich verstehe nicht, Hirschhorn. Warum bist du so
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