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Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille

Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille

Titel: Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen O'Neal Gear , W. Michael Gear
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in den Abend warm.«
    Maisfaser glitt mit klopfendem Herzen zu Boden, eine Körperlänge von ihm entfernt. »Hast du schon abends hier gesessen?«
    »Oft.« Ein unirdisches Leuchten erhellte seine braunen Augen, als ob einer der Götter aus ihnen auf sie blickte. Ein Prickeln lief ihr über den Rücken.
    Nordlicht deutete auf die Mesa im Westen. Im schräg einfallenden Sonnenlicht schimmerte der Fels weiß-golden. »Ich kann dir jede Stelle zeigen, wo Schwester Mond, Vater Sonne und einige von den Gesegneten Abendleuten die Mesa im Lauf eines Sonnenkreises überqueren, und genau um welche Zeit.«
    Maisfaser kreuzte die Beine unter sich und lehnte ihre Schulter gegen den Fels; sie sah ihn an. »Das ist deine Aufgabe, nicht wahr? Als Sonnenseher? Du hältst die Bewegungen von Vater Sonne und den anderen Himmelsgöttern fest?«
    »Das ist ein Teil meiner Aufgaben, ja.«
    Maisfaser betrachtete die weiche Linie seines Kinns und seine geschwungenen Lippen, um eine Ähnlichkeit mit ihrem eigenen Gesicht festzustellen. Seine Augenfarbe erinnerte sie an die Augen eines Bisons, dunkelbraun, fast schwarz, und er hatte eine vollkommen gerade Nase. Da war nichts. Das Herz wurde ihr schwer. So sehr hatte sie gehofft… aber sie sah keine Familienähnlichkeit. Am liebsten wäre sie fortgelaufen, um sich irgendwo zu verstecken. Der Mann war ein Fremder. Alles, was sie ihm hatte sagen wollen, was sie im Kopf geprobt hatte, die Begegnung zwischen ihnen, die sie sich so exakt ausgemalt hatte, entglitt ihr ins Reich der Phantasie, wo es hingehörte. »Es tut mir leid«, flüsterte sie, »ich hätte dich nicht damit behelligen sollen. Du bist einer der Ersten Menschen, und ich bin nur eine vom Ameisen-Clan.«
    Er zog die Brauen hoch. »Du bist vom Ameisen-Clan?« Maisfaser nickte.
    Nordlicht kniff die Augen zusammen. »Ich dachte, im Schildkrötendorf siedelte der Coyote-Clan.« Ihr wurde fast schlecht, als sie ihren Fehler bemerkte. Sie sah mit gerunzelter Stirn auf den goldenen Sand, der um ihre Sandalen gehäuft war. »Im allgemeinen, ja. Aber meine Familie gehörte zum Ameisen-Clan.«
    »Ich verstehe.« Er ließ es offenbar dabei bewenden und schaute zwischen den Felsblöcken hindurch auf die steilen, erodierten Felshänge der Canyon-Senke, wo mehrere Sklaven unter der Aufsicht eines stämmigen, rotgekleideten Mannes an der Arbeit waren. Die knienden Frauen wuschen Wäsche. Sie schlugen den nassen Stoff auf Steine und lockerten dadurch den Schmutz, tauchten die Gewänder in einen Topf mit warmem, seifigem Wasser und spülten sie dann in einem Kessel mit frischem Wasser aus. Auf Trockengestellen aus Kiefernstangen flatterte es in allen Regenbogenfarben. Das Rot und das Blau leuchtete besonders kräftig in der Mittagssonne.
    »Erzähle mir von den Verwandten, die du suchst«, sagte Nordlicht. »Wir haben hier viele Steinmetze aus dem Ameisen-Clan - die besten der Welt, wie ich finde.«
    »Meine Mutter war Steinmetz.« Maisfaser betrachtete liebevoll die massive weiße Mauer fünfzig Hände entfernt und fragte sich, ob es ihre Mutter gewesen war, die die Steine unterhalb der dünnen Tünche aufeinandergeschichtet hatte. »Sie ist tot.«
    »Das tut mir leid. Es gibt so viel Leid in diesen Tagen.«
    »S-sie wurde getötet… bei dem Überfall.« In plötzlicher Verzweiflung rief sie: »Ich weiß nicht, warum mein Dorf angegriffen wurde, Nordlicht! Wir hatten nichts Böses getan! Wir hatten niemanden beleidigt! Warum glaubst du wohl, daß diese Krieger gekommen sind, um uns zu töten?« Sie machte sich klar, wie sie sich anhören mußte, schluckte und senkte die Stimme. »Wir hatten nichts Böses getan. Das schwöre ich.«
    Nordlicht strich ihr über die Finger. »Es ist vorbei. Belaß es dabei, und danke den Thlatsinas, daß du heil davongekommen bist.«
    »Das - das war ein Zufall.« Sie entzog ihm ihre Hand und ballte sie zur Faust in ihrem Schoß. »Ich hätte eigentlich auch sterben müssen, aber ich habe mich in einem Gebüsch auf dem Hügel über dem Dorf versteckt, und niemand hat mich entdeckt.«
    »Dann hast du also alles gesehen?«
    Ihr stiegen die Tränen in die Augen, sie konnte es nicht verhindern. Unglücklich sah sie in sein schönes Gesicht und sah Güte in seinen Augen. »Ich habe zugesehen, wie sie meine Freunde und meine Familie getötet haben. Wie sie alles zerstört haben, was mir lieb war.«
    Nordlicht rutschte mit untergeschlagenen Beinen vor sie hin, die Unterarme auf den Knien, die langen Finger an die Lippen

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