Voyager 008 - Cybersong
sei: Es ist alles andere als
angenehm, mir all jene Dinge ins Gedächtnis zurückzurufen.«
Kes stand auf und kehrte zu dem Experiment zurück, als
wollte sie seinen Status überprüfen. Mit den Fingerkuppen strich sie über die Isolierfelder und betrachtete ihren Inhalt – sie
mußten tatsächlich noch einmal von vorn beginnen.
»Ich habe keine Informationen über das typische Traumleben
von Ocampa«, sagte der Doktor. »Aber Träume gelten bei allen
intelligenten Spezies als wichtig. Menschen sehen darin einen
Hinweis auf den psychischen Zustand des betreffenden
Individuums. Chakotays Volk glaubt, manche Träume seien
Botschaften aus der Geisterwelt. Betazoiden sehen in Träumen
von hoher emotionaler Intensität das Resultat von empathischen
Erlebnissen: Der Träumende gibt ihnen eine vertraute Form und
weiß nicht, daß die dem Traum zugrunde liegenden
Informationen einen anderen Ursprung haben. Trifft etwas von
dem bei Ihnen zu?«
Kes zögerte und dachte über die verschiedenen Möglichkeiten
nach. »Ich weiß es nicht«, antwortete sie schließlich. »Nur eins ist klar: Es fällt mir noch immer schwer, mich an die
Einzelheiten jener Zeit zu entsinnen.«
»Das halte ich für normal«, erwiderte der Doktor. »Ein
Trauma wird oft verdrängt, wenigstens zum Teil. Das gehört
zum Überlebensmechanismus.«
»Da haben Sie vermutlich recht«, sagte Kes.
»Vielleicht wird es Zeit für Sie, sich an alles zu erinnern«,
spekulierte der holographische Arzt. »Immerhin befinden Sie
sich jetzt in einer Sicherheit bietenden Umgebung.«
Ja, vielleicht wurde es wirklich Zeit für Kes, sich jenen
Erlebnissen zu stellen. Nie zuvor in ihrem Leben war sie so
sicher gewesen wie an Bord der Voyager, und ein großer Teil ihrer Erinnerungen blieb hinter einem dichten Schleier
verborgen. Das galt auch für ihre Rebellion, bevor sie ihr Volk
verlassen hatte.
Sie entsann sich nur an ihre Eltern und einige Schultage. Aber
bestimmt gab es noch mehr. Vor dem inneren Auge sah sie
Lezen, der auf dem Platz saß und ihnen von einer Zeit vor dem
Beschützer erzählte, als die Ocampa ein freies Volk gewesen
waren, das auf der Oberfläche des Planeten lebte.
Kes versuchte, sich an die erste Begegnung mit Neelix zu
erinnern. Sie verdankte ihm ihre Rettung, das wußte sie
natürlich, aber warum hatte er sich zuvor in dem Bergwerk
aufgehalten?
Ihre damalige Ocampa-Kleidung konnte sie sich nicht
vorstellen. Sie wußte nicht einmal, welche Farben sie getragen
hatte. Heute spielten diese Dinge eine wichtige Rolle für sie.
Kes trug violette, pfirsichfarbene und rosarote Gewänder, fand
großen Gefallen an weichen, intensiven Farbtönen.
Nur an eins erinnerte sie sich ganz deutlich: an den Durst und
den Schmutz in den Bergwerken. An den kalkigen Geschmack
trockener Rationen und an den roten Sand, der in jede Hautfalte
geriet, in jede Pore – damals hatte sie geglaubt, sie nie wieder von ihm befreien zu können. Jene Dinge schienen für sie fast
mehr Realität zu haben als der vor ihr sitzende Doktor.
Langsam hob sie eine Hand vor die Augen. Waren es wirklich
Erinnerungen, die sie als so deutlich empfand? Oder handelte es sich um Bilder aus dem Traum?
Kes ließ die Hand wieder sinken und wandte sich erneut dem
Doktor zu. Sie wußte um seine holographische Natur. Aber er
war auch ihr Freund und Mentor. Sie sah eine Person in ihm, ohne jede Einschränkung.
»Haben Sie eine Idee, wie ich meine Erinnerungen
zurückbekommen könnte?« fragte Kes leise.
»Verschiedene Theorien schlagen unterschiedliche Methoden
vor«, erwiderte der Arzt. »Oft verwendet man Hypnose, geht
dabei von der Annahme aus, daß ein Individuum nie etwas
vergißt, Erinnerungen nur unterdrückt und verdrängt. Bei der
Gesprächstherapie erörtert man einzelne Aspekte, bis sich ein
allgemeiner Überblick ergibt. So etwas kann jedoch ziemlich
lange dauern. Dann gibt es noch die Möglichkeit des
Wiedererlebens. Der Patient wird mit den Realitäten der
Vergangenheit konfrontiert und erlebt alles noch einmal, sorgt
jedoch dafür, daß die traumatische Ereigniskette zu einem
anderen Resultat führt. Mit anderen Worten: Er schreibt jenes
Kapitel seiner Vergangenheit neu.«
»Ich weiß gar nicht, ob es bei mir etwas gibt, das neu
geschrieben werden kann«, sagte Kes leise. »Und überhaupt:
Wie sollten wir so etwas realisieren?«
»Auf dem Holodeck müßten sich entsprechende Szenen
darstellen lassen«, entgegnete der Doktor.
Weitere Kostenlose Bücher