Voyager 008 - Cybersong
Zeit fühlte sie einen Zorn, der die Furcht zumindest teilweise verdrängte, ihr Mut verlieh.
Der Wächter ging weiter, schnaufte erneut. Kes wartete noch
einige Sekunden länger, um dem Kazon Gelegenheit zu geben,
jene Stelle zu erreichen, an der sich die Felswand ein wenig
nach innen wölbte.
Dann sprang sie, rammte ihre Schulter in die Kniekehlen des
Wächters, der mit einem erschrockenen Schrei zu Boden ging.
Kes griff nach seinem Strahler, drehte ihn, schlug zu und traf
den Kopf des Mannes. Von einem Augenblick zum anderen
rührte er sich nicht mehr.
Rasch überprüfte Kes den Puls. Er lebte noch, wie sie fast
enttäuscht feststellte. Neuerlicher Zorn brodelte in ihr, und sie tastete nach dem Auslöser der Waffe, fragte sich, ob sie den
Kazon erschießen sollte. Sie sehnte sich nach der Genugtuung,
einer ihrer Peiniger umzubringen.
Doch sie blieb vorsichtig. Wenn sie den Mann erschoß…
Dann wußten die anderen, daß ein Gefangener entkommen war.
Kes drehte sich um und eilte fort. Der Bewußtlose würde
bestimmt keine Meldung erstatten – weil er sich viel zu sehr
schämte, von einer Frau überwältigt worden zu sein. Sie hatte
jetzt seinen voll geladenen Strahler, versteckte ihn unter ihrem Hemd. Dabei stellte sie fest, daß sie vor Wut am ganzen Leib
bebte.
Kes begriff plötzlich, daß sie den Zorn vergessen, ihn
verdrängt hatte. Sie war damals nicht einsam gewesen, sondern
zornig. Außer der Wut hatte es nur noch Furcht gegeben – und
die Bereitschaft, sich zu verteidigen, mit allen Mitteln.
Ich bin hier auf dem Holodeck der Voyager, erinnerte sie sich.
Was sie gerade erlebt hatte, gehörte zu ihrer Vergangenheit. Es
existierte nur noch in Erinnerungen, und das galt auch für den
Zorn. Hier gab es keine Kazon.
Als Kes versuchte, sich in der Finsternis zu beruhigen, hörte
sie plötzlich Schritte.
»Kommen Sie mir nicht zu nahe«, sagte sie und nahm
überrascht den drohenden Klang ihrer Stimme zur Kenntnis.
»Ich bin’s«, erwiderte der Doktor. »Offenbar haben Sie eine
therapeutische Katharsis erlebt, noch bevor ich mir Notizen
machen konnte.« Der holographische Arzt schien fast enttäuscht
zu sein.
»Programm Ende, Medo-Hologramm weiterhin aktiv lassen«,
wies er den Computer an.
»Wir brauchen eine Couch und einige Stühle«, fügte Kes
hinzu.
Die gewünschten Objekte erschienen. »Soll ich mich
hinlegen?« fragte die Ocampa.
»Nein, ich glaube, das ist nicht nötig«, sagte der Doktor. Sie
nahmen beide Platz. »Sie haben eben sehr heftig reagiert und
weitaus mehr Entschlossenheit gezeigt, als man erwarten
konnte.«
»Ich bin von mir selbst überrascht«, pflichtete Kes dem
holographischen Arzt bei. »Seltsam. In dem Traum habe ich
mich schrecklich einsam gefühlt. Ich wünschte mir einen
Gesprächspartner. Doch hier hatte ich nur einen Wunsch: Ich
wollte einen Kazon töten.« Sie schauderte bei diesem Gedanken,
beugte sich ein wenig vor und starrte ins Leere.
Der Doktor saß ihr gegenüber und musterte sie. Er faltete die
Hände im Schoß und wartete darauf, daß Kes fortfuhr. Sie holte
tief Luft.
»Ich erinnere mich gar nicht daran, damals an Einsamkeit
gelitten zu haben«, sagte die junge Frau langsam. »Ich bin voller Furcht, zornig und entschlossen gewesen. Warum habe ich von
Einsamkeit geträumt? Warum war dieses Gefühl so wichtig?«
Der Doktor richtete einen nachdenklichen Blick auf sie.
»Dafür gibt es mehrere mögliche Erklärungen. Vielleicht fühlen
Sie sich an Bord der Voyager isoliert, ohne sich damit abfinden zu können. Deshalb bringen Sie jenes Empfinden mit einem
anderen Abschnitt Ihres Lebens in Verbindung.«
Kes blinzelte überrascht. »Ich fühle mich hier ganz und gar
nicht isoliert«, entgegnete sie. »Ich habe mehr Freunde als
jemals zuvor. Sie sind ein wundervoller Freund und Lehrer. Und
ich bin mit Neelix zusammen. Nein, eine solche Erklärung
kommt nicht in Frage.«
»Sonderbar«, kommentierte der holographische Arzt. »Bei
empathischen Völkern kann man einen externen Ursprung für
derartige Reaktionen vermuten. Allerdings wissen wir nicht, ob
die Ocampa in dem Sinne empathisch sind.«
Kes lehnte sich in ihrem Sessel zurück und dachte über die
letzte Bemerkung des Doktors nach. Es gab traditionelle
Ocampa-Geschichten über Vorgänge, die sich mit den
empathischen Erfahrungen von Betazoiden vergleichen ließen.
Und es war allgemein bekannt, daß nicht richtig ausgebildete
Betazoiden die von
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