Voyager 008 - Cybersong
anderen Personen projizierten Emotionen für
ihre eigenen halten konnten.
»Jarzeman Anla gilt als klassische betazoidische Autorität auf
dem Gebiet des empathischen Verhaltens. Er bietet folgenden
Rat: Wenn man sich vorstellt, man würde die quälenden Gefühle
nur empfangen und sie nicht im eigenen mentalen Kosmos
selbst schaffen, so kann man Distanz gewinnen. Die Emotionen
verschwinden dadurch nicht, aber sie sind leichter zu ertragen.«
Der Doktor stand abrupt auf und schien der Ansicht zu sein, daß
die therapeutische Sitzung damit beendet war. Kes sah die Sache
ein wenig anders.
»Und wenn es meine eigenen Empfindungen sind?« fragte sie.
»Dann kann eine entsprechende mentale Übung sicher nicht
schaden«, erwiderte der Doktor ein wenig zu schnell. »Wenn Sie
mich jetzt bitte entschuldigen würden…« Er schnitt eine
Grimasse. »Zweifellos warten in der Krankenstation einige Ski-
Verletzungen auf mich.«
Kes nickte nur, als der Arzt das Holodeck verließ. Sie dachte
über seinen Vorschlag nach. Er hatte recht: Schaden konnte eine
solche geistige Übung nicht. Und selbst wenn es sich dabei um
eine riskante Sache handelte – sie hatte sich schon größeren
Gefahren gestellt. Etwas in ihrem eigenen Kopf konnte
bestimmt nicht so schlimm sein wie die Kazon!
Sie ließ dieser Erkenntnis sofort Taten folgen. Nie zuvor hatte
sie eine solche Aufgabe bewältigen müssen, doch als sie damit
begann… Es fühlte sich so natürlich an wie Gehen oder Atmen.
Die sonderbaren Gefühle ohne eine rationale Ursache ließen
sich problemlos vom Rest ihres Denkens und Empfindens
trennen. Kes stellte sich vor, daß sie in einer Schachtel ruhten, in einer bei den Ocampa gebräuchlichen Festschachtel, von rotem
Tuch umwickelt und mit weißen Blumen geschmückt.
Sie hatte einmal eine solche Schachtel von ihren Eltern
bekommen, zur Zeit ihrer Reife. Kes erinnerte sich an ihren
Inhalt: die Halskette ihrer Urgroßmutter, das eigene
Namensarmband und ein Wiedergabegerät mit einem
Datenmodul, das viele traditionelle Lieder sowie Erläuterungen
dazu enthielt. Einige Sekunden lang fragte sie sich, was aus
Schachtel und Inhalt geworden sein mochte. Beides war Teil
ihres Bündels gewesen, als sie durch die Tunnel zur Oberfläche
wanderte.
Irgendwann und irgendwo hatte sie das Bündel verloren.
Vielleicht befand es sich jetzt im Besitz von anderen
Traditionsrebellen. Oder die Kazon besaßen es, was bedeutete,
daß der Schmuck entweder verkauft worden war oder
irgendeinen stinkenden Halunken zierte. In einem solchen Fall
konnte von dem Wiedergabegerät kaum mehr übrig sein als
Schrott.
Bei diesen Überlegungen fühlte sich Kes von einer Trauer
erfaßt, die in keiner Verbindung mit den anderen seltsamen
Empfindungen stand.
Ganz deutlich spürte sie nun den Unterschied zwischen diesem
Gedanken, der aus ihrem tatsächlichen Leben kam, und jenen
Gefühlen, die in der imaginären Schachtel steckten und
eigentlich gar nichts mit ihr zu tun hatten.
Kes zögerte und fragte sich, ob sie den Doktor darauf
hinweisen sollte. Sie wußte nicht recht, ob sie eine Bestätigung dafür haben wollte, eine Empathin zu sein. In gewisser Weise
wurde sie dadurch wieder zu einem Ding, so wie in den
Bergwerken. Die Rückkehr zu einem solchen Status kam nicht
in Frage.
Außerdem: Wenn die seltsamen Gefühle nicht von ihr
stammten, so mußte sie über ihren Ursprung Klarheit gewinnen.
Vielleicht gingen sie von Neelix aus. Ja, diese Möglichkeit
ergab durchaus einen Sinn. Zwischen ihnen herrschte eine enge
Beziehung; Neelix spielte eine zentrale Rolle in Kes’ Leben. Er
hatte sie gerettet, sein Leben für sie riskiert.
Wenn sie seine emotionalen Probleme spürte, so wollte sie
niemandem davon erzählen. So persönliche Dinge gingen nicht
einmal den Doktor etwas an.
7
»Wir sind jetzt in Scannerreichweite«, sagte Paris. »Dann lassen Sie uns feststellen, ob es tatsächlich irgendwelche
Lebensformen in dem… Durcheinander gibt«, erwiderte
Janeway.
Anders ließ es sich kaum ausdrücken. Von einem Schiff zu sprechen… Damit meinten Starfleet-Offiziere etwas, das
raumtüchtig war. Und diese Bezeichnung traf auf das Etwas in
der Tachyonenwolke sicher nicht zu. Die modifizierten Scanner
lieferten kein deutliches Bild; dafür waren die von den
intensiven Tachyonenemissionen verursachten Interferenzen
noch immer zu stark. Der Hauptschirm zeigte etwas, an dem
unter normalen Umständen nur
Weitere Kostenlose Bücher