Voyager 012 - Der Garten
er
eine schachbrettartig gemusterte Landschaft mit grünen oder
goldgelben Quadraten, die in Richtung eines bewaldeten Hügels
anstieg. Auf der Kuppe bemerkte Paris eine Lichtung, doch
Einzelheiten konnte er nicht erkennen, denn das Shuttle neigte
sich erneut zur Seite und begann mit dem Landeanflug. Er sah
nun den See, und das blaue Ufer schien ihnen regelrecht
entgegenzuspringen. Aus einem Reflex heraus spannte Paris die
Muskeln und bereitete sich auf den Aufprall vor. Wollte
Graurose auf dem Strand landen, auf lockerem Sand? Nein,
ausgeschlossen. Vermutlich handelte es sich um eine andere,
festere Substanz, dazu imstande, das Gewicht des Shuttles zu
tragen. Die Kirse gehen bestimmt kein Risiko ein, dachte Paris.
Die Verhandlungen sind auch für sie wichtig, und es würde
ihnen kaum zum Vorteil gereichen, wenn sie den Tod von Thilo
Revek und Tom Paris melden müßten…
Wenige Sekunden später zwang Graurose den Bug nach oben,
und das Shuttle landete auf festem Boden.
Paris seufzte und machte sich nicht die Mühe, seine
Erleichterung zu verbergen. Graurose war eine tollkühne Pilotin,
selbst nach seinen Maßstäben. Ob ich sie irgendwie dazu
überreden kann, mich zurückfliegen zu lassen? fragte er sich.
Nun, eins mußte er der Kirse lassen: Sie verstand ihr Handwerk.
Der Umstand, daß sie noch lebten, war Beweis genug.
Graurose löste ihren Sicherheitsharnisch, und Paris folgte
ihrem Beispiel. Sie öffnete die Hauptluke, und ein
automatisches System sorgte dafür, daß sich eine kleine Rampe
entrollte. Kurze Zeit später standen sie auf dem breiten Strand.
Der Sand unter ihren Füßen bildete eine harte, kompakte Masse.
Interessanterweise wies er verschiedene Blauschattierungen auf
– das Spektrum reichte von ganz hellen Tönen, die an
Gletschereis erinnerten, bis hin zu tiefstem Indigo. Hier und dort
zeigten sich Wirbel, wie erstarrter Rauch. Paris schüttelte den
Kopf, einmal mehr verblüfft von der überwältigenden Schönheit
des Kirse-Planeten. Eigentlich hätte ich mich inzwischen daran
gewöhnen sollen, dachte er. Irgendwann sollte selbst das Spektakuläre zum Gewöhnlichen werden. Trotzdem staune ich
immer wieder. Was ist mit Revek? Kann er sich noch immer für
die Schönheit dieser Welt begeistern?
»Wundervoll, nicht wahr?« fragte Revek – er schien Paris’
Gedanken erraten zu haben.
Der Navigator musterte ihn überrascht. »Ja.«
Der Boden schien aus Sand zu bestehen, aber Paris’ Füße
glitten darüber hinweg, ohne ein einziges Korn zu bewegen.
Verwirrt runzelte er die Stirn.
Graurose hob die Schwingen, und dadurch geriet Bewegung in
die Muskelstränge an ihren Schultern.
»Nach dem letzten Angriff der Andirrim haben wir den Strand
als Landezone vorbereitet. Unsere Gegner meiden ihn, aus
gutem Grund – für sie wäre dieser Boden nicht fest genug.«
Paris stolperte und sank mit einem Fuß in Sand, der plötzlich
keinen Halt mehr gewährte. Graurose hielt ihn fest und
balancierte das zusätzliche Gewicht mit erhobenen Schwingen.
»Entschuldigung«, sagte sie. »Ich hätte Sie warnen sollen. Das
Feld erstreckt sich nur einige Dutzend Meter weit vom Shuttle.«
»Das Feld?« Paris richtete sich auf und sah zum Shuttle
zurück. Der Sand darunter wirkte noch immer sehr fest, aber um
das Gefährt herum bewegte der Wind die Körner – der
Landeplatz wirkte dadurch wie ein breites Oval der Stabilität.
»Darauf sind Sie nicht gelandet!« entfuhr es Paris, obwohl er
es eigentlich besser wissen sollte.
Graurose blinzelte. »Doch, das bin ich.« Sie zögerte. »Oh, ich
verstehe. Das Kraftfeld bewegt sich mit dem Shuttle. Ich
benötige also kein komplettes Landefeld.«
»Das freut mich für Sie«, erwiderte Paris trocken. Er hielt eine
solche Vorstellung für entsetzlich: Wenn mit dem Kraftfeld
irgend etwas nicht stimmte, wenn es falsch ausgerichtet oder
nicht richtig an die Geschwindigkeit des Shuttles angepaßt war,
mußte es bei der Landung zu einer Katastrophe kommen. Die
Kirse schienen Sicherheitsmargen nicht für notwendig zu halten.
Paris fragte sich plötzlich, ob der Rückflug zur Zitadelle
irgendwie vermieden werden konnte.
»Die Anbauflächen befinden sich dort drüben«, sagte
Graurose, kletterte den Hang empor und benutzte einmal mehr
die Schwingen, um das Gleichgewicht zu wahren. Paris folgte
ihr und spürte, wie der Sand bei jedem Schritt unter ihm
nachgab. Als er die Kuppe der Anhöhe erreichte, blieb er
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